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Mit der geplanten Änderung der Strafprozessordnung (StPO) soll über entsprechenden Antrag
in Zukunft jeder Beschuldigte, der eine finanzielle Bedürftigkeit im Sinne des § 61 Abs 2 StPO
behauptet, einen kostenlosen Rechtsbeistand aus dem rechtsanwaltschaftlichen
Bereitschaftsdienst erhalten:
? Schutzbedürftige Beschuldigte im Sinne des § 61 Abs 2 Z 2 StPO bereits für jedwede
kriminalpolizeiliche bzw staatsanwaltschaftliche Vernehmung
? jeder sonstige finanziell bedürftige Beschuldigte aber jedenfalls für eine Vernehmung
über die Voraussetzungen der Untersuchungshaft nach § 174 Abs 1 StPO
Die Bundesarbeitskammer begrüßt die Initiative zur endgültigen Umsetzung der Richtlinie.
Gleichzeitig fällt auf, dass der vorliegende Entwurf die genannte Kostenlosigkeit der
Beiziehung eines Verteidigers im neuen § 59 Abs 5 StPO zwar normiert, zugleich aber die
Definition der Schutzbedürftigkeit in § 61 Abs 1 Z 2 StPO, auf die § 59 Abs 5 StPO nunmehr
verweisen soll, nicht unwesentlich abändert:
Nach bisheriger Rechtslage gilt ein Verdächtiger oder Beschuldigter als schutzbedürftig, wenn
er „blind, gehörlos, stumm, auf andere Weise behindert oder der Gerichtssprache nicht
hinreichend kundig und deshalb nicht in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen“.
Nach dem vorliegenden Entwurf soll sich die genannte Schutzbedürftigkeit nunmehr aus rein
medizinischen Implikationen ergeben und jedenfalls dann nicht mehr gegeben sein, wenn ein
Beschuldigter der Gerichtssprache nicht hinreichend kundig ist.
Dieser Vorstoß wird von der Bundesarbeitskammer kritisch gesehen.
Wenn in den Erläuterungen zum vorliegenden Entwurf festgehalten wird, dass das verfolgte
Ziel die vollständige Umsetzung der RL Prozesskostenhilfe und der RL Jugendstrafverfahren
ist, so weist die Bundesarbeitskammer darauf hin, dass die geplante Änderung des § 61 Abs
1 Z 2 StPO nicht etwa dem Wortlaut oder Zweck der Richtlinie entspringt.
Vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung zu Artikel 6 der Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) kann grundsätzlich kein Zweifel daran bestehen, dass
das Recht, sich anlässlich der polizeilichen Einvernahme nicht selbst beschuldigen zu
müssen, eine allgemein anerkannte internationale Regel ist, die das Herzstück des
Verständnisses von einem fairen Verfahren gemäß Artikel 6 EMRK bildet. Indem sie einem
Beschuldigten Schutz vor missbräuchlichem Zwang durch die staatlichen Behörden bietet,
trägt dieses Recht dazu bei, Justizirrtümer zu vermeiden und die Ziele der Konvention zu
wahren.
Der bisherige Wortlaut des § 61 Abs 2 Z 2 StPO garantiert einem Verdächtigen oder
Beschuldigten, der der deutschen Sprache nicht hinreichend kundig ist, die amtswegige
Vermutung einer besonderen Schutzbedürftigkeit und damit das Recht auf Beigebung eines
Verteidigers bereits für die erste polizeiliche Vernehmung, wobei er dessen Kosten nicht oder
nur zum Teil zu tragen hat.