Funktion und Wirkung von Weiterbildung
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folgern daraus, dass Lernwiderstände nicht ausschließlich persönlich begründet sind,
sondern mit dem gesamten Lernsystem verknüpft sind.
Schäffter konstatiert, dass es Formen intelligenter Lernverweigerung geben kann, die als
auf Eigeninteresse begründetem Widerstand gegenüber Lernzumutungen verstanden
werden können. Gerade im Umgang mit sog. „Problemgruppen“ ist die Anerkennung
der unterschiedlichen Sinnkonstruktionen von und Deutungsperspektiven auf Bildung
eine entscheidende Voraussetzung für das Gelingen von Bildungsprozessen. Im Kern
geht es nach Schäffter um die Anerkennung der gegenseitigen Fremdheit, die als
beiderseitiger Lernanlass begriffen werden muss. Insofern kann bzw. muss aus seiner
Sicht pädagogisches Bemühen um die Qualifizierung von gering Qualifizierten
Anleihen beim Paradigma interkultureller Bildung nehmen. In diesem Sinne plädiert er
für eine „kommunikative Didaktik“, in der Pädagogik zuallererst dazu beitragen soll, zu
klären ob, was und auf welche Weise überhaupt gelernt werden soll.
Begründungsbedürftig wird aus einer solchen Perspektive nicht so sehr die Nicht-
Beteiligung an institutionalisierten Bildungsprozessen, sondern die Legitimierung von
verallgemeinerten Bildungszumutungen und institutionalisierter Weiterbildung an sich.
Um als „bildungsfern“ etikettierte Personen zu erreichen, bedarf es Begründungen von
„Lebenslangem Lernen“, die über das Einfordern von Anpassung an eine sich ständig
verändernde (Arbeits-)welt hinausgehen. Wenn gelingendes Lernen voraussetzt, dass
die Lernaufforderung als sinnvoll v.a. im Kontext des eigenen Lebenszusammenhangs
wahrgenommen wird, dann müssen die Lebenswelten der Betroffenen dabei einbezogen
werden. Schäffter führt aus, welche im Kontext des vorherrschenden Diskurses zum „le-
benslangen Lernen“ ungewöhnlichen Fragen in diesem Zusammenhang zu stellen sind:
„Zum Angelpunkt wird dabei der ‚Stellenwert’, den ein Lerngegenstand bei der
Deutung einer Lebenslage oder einer Lebenssituation erhält: Warum in aller Welt kann
beispielsweise verlangt werden, dass ein alter Mensch Kompetenz im Umgang mit
Internet-Technologie erwirbt? Wo ist möglicherweise eine Verweigerung gegenüber
den sich steigernden Lernanforderungen als ein Menschenrecht einzufordern, das
(sogar) Pädagogen zu respektieren haben? Lässt sich ‚Widerstand gegen Bildung’ als
lebenskluge Antwort auf unkontrollierbare gesellschaftliche Beschleunigung fassen? An
diesen Fragen wird ein prinzipieller Begründungsnotstand institutionalisierten Lernens
erkennbar.“ (Schäffter 2009: 4)
Das bedeutet aber auch, dass man sich den „fremden Bildungswelten“ von gering
Qualifizierten verstehend nähern muss, um geeignete Ansatzpunkte auszumachen.
Darüber hinaus geht es aber auch darum, die undifferenzierten und generalisierten
Qualifizierungsaufforderungen und ihren Bezug zu gesellschaftlicher Integration in
Frage zu stellen. Gerade im Zusammenhang mit gering Qualifizierten wird deren
Weiterbildungsbedarf als unumgängliche Notwendigkeit für ihre Arbeitmarktintegration
postuliert. Mit einem solchen individualisierungstheoretischen Lösungsansatz wird
gleichzeitig suggeriert, dass soziale Benachteiligungen am Arbeitsmarkt über individu-
elle Qualifizierung und persönliches Kompetenzmanagement gelöst werden können.
Eine Betrachtung der Funktionsweise des Arbeitmarktes und des Verwertungszusam-
menhanges von arbeitsmarktgängigen Qualifikationen zeigt gerade im Fall von gering
qualifizierten Personen, dass eine Erhöhung der Qualifikation keine Garantie für einen
Arbeitsplatz darstellt.