Arbeit&Wirtschaft 6/201230 Schwerpunkt
Angst essen Seele auf
Die Jugend von heute hat es alles andere als einfach.
Der Einstieg in die Arbeitswelt wird ihr oft schwer gemacht.
D
er Arbeitsmarkt verlangt fünf
Praktika, Auslandserfahrung,
Mindeststudiendauer, aber auch
jahrelange Erfahrung. Wie soll das
gehen?“, fragt Angelika Gruber, Stellver-
tretende Bundesvorsitzende der Öster-
reichischen HochschülerInnenschaft
(ÖH). Und mit ihr fragen sich das immer
mehr MaturantInnen und StudentInnen.
Das sind Stressfaktoren, die schon vor
Beginn des Studiums auf die jungen Men-
schen wirken. „Dann kommen solche
Aussagen wie: ‚Bevor du hier möglicher-
weise arbeiten kannst, musst du ein un-
bezahltes Praktikum machen.‘ Das führt
eindeutig in Richtung Lohndumping“,
empört sich Gruber.
Stressreaktionen und Angstzustände
Bei permanentem Zeit- und Qualifikati-
onsdruck, „freiwilligen“ längeren Ar-
beitszeiten, steigendem Personalmangel,
Flexibilisierung von Arbeitsprozessen,
unsicheren Arbeitsstellen auf der einen
und geringeren Arbeitsmarktchancen auf
der anderen Seite könnte man so weit ge-
hen und sagen, Stress durch Arbeit ist
eher die Regel. Und die eben genannten
Aspekte der Arbeitswelt sind nur ein Aus-
schnitt aus den vielfältigen Belastungen,
mit denen ArbeitnehmerInnen heutzu-
tage konfrontiert werden. Diese Belas-
tungen führen meist zu psychischen
Stressreaktionen und Angstzuständen,
die auf Dauer in den meisten Fällen Leis-
tungsminderung oder Krankheit bzw.
Arbeitsunfähigkeit verursachen, Stich-
wort Frühpensionierung. Man geht da-
von aus, dass psychische Störungen oder
Erkrankungen, die auch aus übermäßi-
gem Stress heraus entstehen können, bis
2020 die zweithäufigste Ursache für Ar-
beitsausfälle und verminderte Arbeitsfä-
higkeit sein werden.
Nicht fürs Leben, für die Schule ...
Die Angst wird den jungen Menschen
aber bereits früher, nämlich in der Schu-
le, in den Nacken gesetzt. „Der größte
Druck und die größte Angst herrschen
schon beim Übergang von der Volks-
schule ins Gymnasium“, berichtet
Tatjana Gabrielli von der Aktion kriti-
scher Schüler_innen (AKS). „In die
Hauptschule oder Neue Mittelschule
wollen, zumindest in Wien, nur die we-
nigsten. Hat man es geschafft, wird nicht
fürs Leben, sondern fast ausschließlich
auf Noten fixiert gelernt.“
Darauf folgt dann die Studienein-
gangsphase, und es geht vor allem da-
rum, möglichst schnell zu studieren,
also Scheine zu sammeln. „Ständig hat
man die Angst, ob man einen guten Job
bekommt“, weiß Gabrielli. „Daher die
Fixierung auf gute Noten, weil die ja
dann vielleicht zu einem guten, weil
gut bezahlten und sicheren Job führen.
Da herrscht ständiger Leistungsdruck.“
In höheren Schulen gibt es vergleichs-
weise wenig MigrantInnen. „Jene aber,
die es durch die Selektion zwischen
Hauptschule und Gymnasium ins
Gymnasium und dann vor allem auch
in die Ober stufe schaffen, haben dann
etwa die gleichen Ziele und Ängste wie
alle anderen.“
Ähnlich sieht die Angst-Situation bei
Lehrlingen aus. „Es gibt so unrealistische
Forderungen von Seiten der Wirtschaft,
die Lehrlinge sollen zehn Jahre Berufs-
erfahrung haben. Auf so etwas kann man
Jugendliche kaum vorbereiten“, sagt
Jürgen Michlmayr von der Österreichi-
schen Gewerkschaftsjugend (ÖGJ). „Die
Jugendlichen stehen unter Druck, zum
Beispiel am Bau. Und wenn sie dort nur
als billige Hilfskraft Verwendung finden,
Zementsäcke schleppen oder wenn sie
als KFZ-MechanikerInnen nur für Öl-
und Reifenwechsel eingesetzt werden,
dann bekommen sie keine Ausbildung,
die ihrem Berufsbild entspricht“, berich-
tet Michlmayr. „Dann rufen sie bei uns
an, dass sie Angst haben, mit so einer
unzulänglichen Ausbildung keinen gu-
ten Job zu bekommen. Sie stehen aber
auch unter dem Druck der Eltern, die
sagen, dass sie die Lehre auf jeden Fall
fertig machen sollen.“
56 Prozent „stark unter Druck“
In einer aktuellen Studie, die vom Institut
für Jugendkulturforschung im Auftrag der
AK durchgeführt wurde, sagen 56 Prozent
der Befragten: „In der Arbeit/in der Schu-
le/im Studium stehe ich stark unter
Druck.“ Zusätzlich meint rund die Hälf-
te, dass der Druck weiter ansteigen wird.
Die gleiche Studie besagt auch, dass
15 Prozent der SchülerInnen ab 15 Jah-
ren ganzjährig neben der Schule arbei-
ten, über 40 Prozent in den Schulferien.
Von den Studierenden arbeiten drei
Viertel neben dem Studium, rund die
Hälfte ist ganzjährig berufstätig, ein
Viertel jedenfalls in den Ferien. Haupt-
Autor: Thomas Varkonyi
Freier Journalist