Arbeit&Wirtschaft 11/201210 Interview
Ist unser Steuersystem leistungsfördernd?
Nein, weil wir gerade bei den kleineren
Einkommen und insbesondere bei Ein-
kommen in der Facharbeiterkategorie ei-
ne hohe Steuerbelastung haben – bei gut
verdienenden Facharbeitern erreichen
wir den Gipfel der Grenzsteuerbelastung.
Den Leuten werden von einer Lohner-
höhung 55 Prozent abgezogen, also mehr
als einem Manager, der bei seinem Ein-
kommen keine Sozialversicherungsbei-
träge mehr zahlt. Das muss aus meiner
Sicht durch eine Steuerstrukturreform
unbedingt geändert werden.
Die Debatten zu Erbschaftssteuer
und Vermögenssteuer entstehen auch
mit dem Leistungsfreundlichkeits-Argu-
ment, weil ja diese Abgaben eingeführt
werden sollen, um den meiner Meinung
nach sehr unglücklichen Tarifverlauf bei
der Lohnsteuer zu ändern.
Soll das Steuersystem progressiv
bleiben?
Natürlich, unter den theoretischen Be-
gründungen der Progression im Einkom-
menssystem, die ja schon im 19. Jahrhun-
dert gelegt worden sind, findet sich ja das
Leistungsfähigkeitsargument. Ich habe
schließlich wenn ich über mehr Nettoein-
kommen verfüge eine überproportionale
Steuerzahlungsfähigkeit. Das Wirt-
schaftsforschungsinstitut führt immer
wieder Verteilungsstudien durch. Bei der
jüngsten Studie ist wieder festgestellt wor-
den: Unser Abgabensystem verteilt insge-
samt betrachtet nicht um. Das liegt daran,
dass es Steuern gibt, die regressiv wirken,
z. B. Konsumsteuern, und solche, die pro-
gressiv wirken – und das hebt sich gegen-
seitig auf. Das erwarten sich die meisten
Leute nicht von einem Steuersystem.
Wenn jetzt z. B. eine Partei kommt und
sagt, sie will eine Flat Tax einführen, dann
nimmt sie das letzte progressive Element
aus dem Steuersystem und das gesamte
Steuersystem wird regressiv. Da muss man
diese Leute einmal fragen, ob sie das für
Gerechtigkeit halten, wenn der Arme un-
verhältnismäßig mehr von seinem Ein-
kommen zahlt als der Reiche.
Es gibt einige Fälle, in denen der Staat
versucht mit Steuern zu steuern, z. B.
Tabaksteuer oder Mineralölsteuer.
Ich bin an sich ein Gegner davon, mit
Steuern zu viel steuern zu wollen, weil
dieses Instrument zu grob ist und zu
Mitnahmeeffekten führt, z. B. die steuer-
liche Forschungsprämie. Ich glaube
nicht, dass man eine Feinsteuerung wirt-
schaftlich vernünftiger Forschungsinves-
titionen über die Steuer zusammen-
bringt. Da gibt es viel bessere Instrumen-
te, wie den Forschungsförderungsfonds,
wo Expertinnen und Experten sitzen.
Das heißt, wir sind gut beraten,
Steuern grundsätzlich dafür einzusetzen,
möglichst gerecht die Mittel zur Staats-
finanzierung aufzubringen. Es wäre ver-
nünftig, das als Hauptaufgabe des Steu-
ersystems zu belassen. Das würde das
Steuersystem insgesamt entschlacken.
In manchen Bereichen allerdings
glaube ich, dass Abgaben schon lenken
können und dass das auch sinnvoll ist,
also denken Sie z. B. an die Steuern auf
Tabak. Es ist zu einem gewissen Grad
schon so, dass die Menschen weniger
rauchen, wenn das teurer ist. Oder auch
die Mineralölsteuer, die ja jetzt bei den
hohen Benzinpreisen nicht beliebt ist,
aber meiner Meinung nach vernünftig
ist, weil wir eben ein CO2-Problem ha-
ben. Wenn Benzin wesentlich billiger
wäre, hätten wir mehr Autoverkehr. Das
wird eine Pendlerin oder ein Pendler
nicht gerne hören, aber wir haben ja
Vorschläge für die PendlerInnen. Ich bin
der Überzeugung, dass man mit Steuern
hier lenkend eingreifen muss, was den
Ressourcenverbrauch betrifft.
Wäre da eine zweckgebundene Verwen-
dung dieser Steuern sinnvoll?
Ja, Tabaksteuer, Alkoholsteuer usw. für
das Gesundheitssystem zu verwenden ist
glaube ich sinnvoll. Und zum Ausbau des
Nahverkehrs, wo wir zu wenig Mittel ha-
ben, wäre eine Zweckbindung der Mine-
ralölsteuer nicht von vorneherein schlecht.
Was halten Sie von Bürgerbeteiligungs-
modellen?
Ich bin da sehr skeptisch. Die Schweize-
rInnen haben da eine sehr lange Traditi-
on und muten sich auch Steuererhöhun-
gen mit Abstimmung zu, die sie selbst
treffen. Wir haben da keine Tradition,
aber dafür umso mehr Demagogie.
Gerade haben wir in einer Umfrage
abgetestet, wie viel die Menschen über
Steuern wissen: sehr wenig. Offensicht-
lich weisen bei diesem Thema auch die
Schulen gewisse Defizite auf. So haben
die meisten Befragten geglaubt, dass die
aufkommensstärkste Steuer die Mine-
ralölsteuer ist – klar, das erleben sie an
der Zapfsäule intensiv und ärgern sich
darüber –, aber die macht natürlich viel
weniger aus als z. B. die Umsatzsteuer
oder die Lohnsteuer.
Ich bin grundsätzlich dafür, dass die
Menschen über etwas abstimmen, über
das sie informiert sind. Wenn der Auf-
klärungsgrad so gering ist wie beim The-
ma Steuern, bin ich dafür, dass man zu-
erst den Aufklärungsgrad verbessert und
dann die Fragen vorlegt.
Ich habe in meiner Gymnasialzeit
das Wort Einkommenssteuertarif nie
gehört, dabei ist das etwas, was alle
Menschen irgendwann betrifft und be-
schäftigt. Es gibt immer mehr Men-
schen, die die Steuererklärung selbst le-
gen müssen und da muss man gewisses
Basiswissen haben, wie der Tarif funkti-
oniert. Auch Menschen in prekären Ar-
beitsverhältnissen brauchen nicht zwin-
gend einen Steuerberater, es gibt im
ÖGB Flexpower, wo sie Rat bekommen.
Kolleginnen und Kollegen mit freien
Dienstverträgen sind AK-Mitglieder
und werden von uns steuerlich beraten.
Haben Sie eine Lieblingssteuer?
Eine Steuer, mit der ich mich früher sehr
gerne beschäftigt habe, weil sie intellek-
tuell hohe Anforderungen stellt, war die
Vermögenssteuer. Ich habe sie vor ihrer
Abschaffung selbst bearbeitet und das ist
eine vom technischen Anspruch her sehr
anspruchsvolle Steuer – es ist eine gerech-
te Steuer, die die Vermögenskonzentrati-
on in wenigen Händen bremst und um-
verteilt.
Wir danken für das Gespräch.
Das Interview führte Katharina Klee
für Arbeit&Wirtschaft.
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