Arbeit&Wirtschaft 1/2013 31Schwerpunkt
Kinder, die über den Tag verteilt ein Salz-
stangerl essen. Hört man so eine Ge-
schichte, ist es fast nicht verständlich.
Verena Fabris: „In die Armut abzurut-
schen geht schneller als man denkt: Job-
verlust, Scheidung oder Krankheit sind
Gründe dafür. Ältere allein lebende
Frauen, MigrantInnen und Alleinerzie-
herInnen sind besonders von Armut be-
troffen.“ Ein Bruch in der eigenen Bio-
grafie – plötzlich geht nicht mehr, was
sich davor gerade mal so ausging.
Armut ist still
Betroffene reden nicht gern darüber, dass
sie kein Geld haben. Sie schämen sich
ihrer Armut, auch, weil sie mit Vorurtei-
len konfrontiert und unter Druck gesetzt
werden. Die Aussage, dass jeder, der ei-
nen Job sucht, auch einen findet, hält sich
fälschlicherweise immer noch. Dazu
kommt der Vorwurf des Sozialschmarot-
zertums.
Laut Armutskonferenz beruhen
Wirtshausparolen vom angeblichen So-
zialmissbrauch aber auf Vorurteilen und
können nicht durch Studien bestätigt
werden. Einzelfälle kann es immer ge-
ben, die wichtigere Frage sei jedoch,
welche Absicht hinter dem scheinbaren
Missbrauch steckt. Will sich jemand mit
Schwarzarbeit neben dem Bezug von
Notstandshilfe tatsächlich bereichern?
Oder eher mit prekären Zusatzjobs ein
Einkommen zu erzielen, das zum Leben
reicht? Schließlich gibt es in Österreich
kein Mindest-Arbeitslosengeld, die
Höhe von Sozialleistungen wird ohne
Bedachtnahme auf die realen Kosten des
täglichen Lebens festgesetzt.
Das stellt auch Bernhard Litschauer-
Hofer vom Wiener Armutsnetzwerk
fest: „Festgehalten werden kann, dass
die Entwicklung der Lohneinkommen
nicht mit den Preissteigerungen mit-
halten kann.“ Bemerkbar macht sich
Armut auch durch die gestiegenen Zah-
len jener, die öffentliche Unterstützung
(Bedarfsorientierte Mindestsicherung,
BMS) in Anspruch nehmen.
Zudem ist nicht unbedingt der am
wenigsten von Armut bedroht, der – be-
zahlt oder unbezahlt – am schwersten
arbeitet. Weltweit haben die ärmsten
fünf Prozent in den vergangenen Jahren
25 Prozent ihres Einkommens verloren,
während die reichsten fünf Prozent sogar
zwölf Prozent dazugewonnen haben. 2,7
Milliarden in Armut lebende Menschen
müssen sich genau so viel Einkommen
teilen wie die 50.000 Reichsten. (Quel-
len: Sozialbericht, OENB und OECD,
via Armutskonferenz)
Was tun gegen „neue“ Armut?
Verena Fabris: „Armut ist oft nicht auf
den ersten Blick sichtbar. Vor allem Bil-
dungsinstitutionen und soziale Einrich-
tungen sind hier gefragt genau hinzu-
schauen.“ Erwerbsarbeit zu haben ist ein
wirksames Mittel gegen Armut, doch
längst nicht mehr das einzige. Immer
mehr Menschen können trotz Erwerbs-
arbeit von ihrem Einkommen nicht le-
ben. Daneben sind aus Fabris’ Sicht fol-
gende Maßnahmen wichtig: Eine mone-
täre Mindestsicherung, die zum Leben
reicht, flächendeckende soziale Dienst-
leistungen wie Kinderbetreuung, Ge-
sundheitsvorsorge und ein Bildungssys-
tem, das sozialer Ungleichheit entgegen-
wirkt.
Die Bekämpfung von Armut ist
letztlich eine Frage der gerechteren Ver-
teilung von Einkommen und Reichtum.
Fabris: „Eine Umverteilung durch Ein-
führung von vermögensbezogenen Steu-
ern ist aus Sicht der Volkshilfe unbe-
dingt notwendig.“ Wichtig ist auch, bei
Maßnahmen gegen Armut die Armuts-
betroffenen selbst in die Entwicklung
und Umsetzung einzubeziehen.
Mit Betroffenen auf Augenhöhe
Was kann die bzw. der Einzelne tun?
Fabris: „Zunächst einmal geht es darum,
Armutsbetroffenen mit Respekt zu be-
gegnen, auf Augenhöhe mit den Men-
schen zu sprechen, sie nicht schon vorher
zu verurteilen. Ein weiterer Schritt ist
hinzuschauen: Gibt es in meiner Umge-
bung Armut? Gibt es Menschen, die Hil-
fe brauchen, aber sie vielleicht nicht in
Anspruch nehmen? Hier kann man an
entsprechende Institutionen weiterver-
mitteln. Natürlich gibt es auch die Mög-
lichkeit, sich ehrenamtlich zu engagieren.
Auch Spenden an eine soziale Organisa-
tion sind ein wertvoller Beitrag.“
Internet:
Armutskonferenz, u. a. Broschüre
„Was heißt hier arm?“:
www.armut.at
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Arm kann auch sein, wer zuvor einen guten
Job hatte. Die heutigen Armen malen keine
Kunstwerke aufs Straßenpflaster. Betteln wird
meist mit „Banden“ aus osteuropäischen
Ländern gleichgesetzt. Arm sind – angeblich –
Leute anderswo.