Arbeit&Wirtschaft 6/20134 Arbeit&Wirtschaft 10 1Historie
Die jungen Leute
G
anz anders seien wir damals gewe-
sen, sorgt sich der Freund um seine
17-jährige Tochter. Sie habe keine
Interessen, keine Leidenschaften
und wohl auch keine Freunde und sitze
ständig nur zu Hause herum. Das sei halt
so bei Liebeskummer, entgegne ich ihm
… und mit 17. Das mit dem Liebeskum-
mer weiß ich, weil ich mit dem Mädchen
auf Facebook befreundet bin – mit Social
Media will ihr Vater nichts zu tun haben.
Eingeborene einer digitalen Welt
Ich fühle mich ein bisschen geehrt, dass
ich mit ihr befreundet bin, ebenso wie mit
einigen Jugendlichen aus dem Freundes-
kreis. Sie haben sich mit mir verlinkt, die
„Digital Natives“. Dieser Begriff steht für
die Eingeborenen dieser neuen Welt – ent-
standen ist er 1996. Damals verkündete
der ehemalige Songtexter der Rockband
Grateful Dead, John Perry Barlow, am
Rednerpult des Weltwirtschaftsforums in
Davos die Unabhängigkeit des Cyber-
space: „Ihr fürchtet euch vor euren eigenen
Kindern, weil sie Eingeborene sind in ei-
ner Welt, in der ihr immer Immigranten
sein werdet.“ In einer Welt digitaler Tech-
nologien: Wer nach 1980 geboren wurde,
ist meist ganz selbstverständlich mit Com-
putern, Internet, MP3-Playern und Mo-
biltelefonen aufgewachsen. Diese Techno-
logien haben nicht nur unsere Kommuni-
kation, sondern auch unser Denken
verändert. Jedes Kleinkind kann heute ein
Smartphone bedienen.
Für den Freund ist es verwunderlich,
wie viel Zeit seine Kinder vor dem Com-
puter verbringen. „Warum geht sie denn
nicht mit ein paar Freundinnen auf einen
Kaffee?“, fragt er. Weil sie sich ständig in
einem Café befindet, sich ständig über
Handy und Computer austauschen kann.
Sogar verliebt hat sie sich im Internet, in
einen jungen Mann Kilometer weit weg.
Die jungen Leute von heute, die mir
begegnen, sind nicht fader, fauler,
schlechter als wir es waren. Sie sind ein-
fach nur anders. Während unsere Genera-
tion Stunden vor der Glotze verbracht
hat, machen sich diese jungen Menschen
online ihr Programm selbst. Sie wählen
aus Blogs, Foren, Videokanälen und grei-
fen auch immer wieder auf die Netzseiten
herkömmlicher Medien zu. Sie teilen,
kommentieren, produzieren selbst Vi-
deos. Der Informationsfluss ist nicht im-
mer leicht zu verkraften, aber sie schaffen
das besser als wir Älteren. Sie denken ver-
netzter als wir.
Oh ja, all das ist mit Gefahren ver-
bunden, aber auch wir haben in unserer
Jugend aus Fehlern gelernt. Vor den Ge-
fahren können wir sie nur begrenzt be-
schützen. Und uns auf eines verlassen: Sie
sind unsere Kinder, wir haben sie erzo-
gen, wir leben ihnen das Leben vor, sie
leben unsere Werte.
Als junger Mensch habe ich die Welt
schwarz-weiß gesehen; ich glaubte, genau
über Gut und die Böse Bescheid zu wis-
sen. Die jungen Leute – wie der ÖGJ-
Vorsitzende Sascha Ernzst – sehen das
anders, sie sind für verschiedene Stand-
punkte offen. Dass sie deswegen unpoli-
tischer wären, kann man nicht sagen. Sie
engagieren sich – und das nicht nur per
Mausklick.
Die Tochter meines Freundes hat ge-
rade maturiert und möchte jetzt eine
Ausbildung zur Behindertenpflegerin
machen, „Praktikum geht nur mit Aus-
bildung und Ausbildung nur mit Prakti-
kum ^^“ postet sie auf Facebook.
Aufeinander zugehen
Viele junge Menschen sind gut ausgebil-
det, flexibel, mobil. Und doch sind rund
sechs Mio. Jugendliche in Europa arbeits-
los. Die, die Arbeit haben, können oft von
einem Einkommen zum Auskommen
nur träumen. Ich beneide sie nicht, die
jungen Leute von heute, ich halte es da mit
Salvador Dalí: „Der größte Fehler, den die
Jugend von heute hat, ist der, dass man
nicht mehr zu ihr gehört.“ Gehen wir auf
sie zu, lernen wir von ihnen.
Katharina Klee
Chefredakteurin
Standpunkt
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