Arbeit&Wirtschaft 2/2016 13Schwerpunkt
Arbeitssuchende haben wegen der Zu-
mutbarkeitsbestimmungen und des im
EU-Vergleich niedrigen und kurzen Ar-
beitslosengeldes ganz einfach zu wenig
Zeit für die Suche nach einem Arbeits-
platz, der ihrem Qualifikations- und
Einkommensstand entspricht.
Auch die Ausweitung der Zumut-
barkeitsregeln auf die Teilnahme an
Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarkt-
politik gewährleistet Schutz und Ausbau
von beruflichen Qualifikationen nur
unzureichend. Arbeitssuchende müssen
laut Gesetz zwar dazu bereit sein, sich
„zum Zwecke beruflicher Ausbildung
nach- oder umschulen“ zu lassen bzw
„an einer Maßnahme zur Wiederein-
gliederung in den Arbeitsmarkt“ teilzu-
nehmen“.
Diese Regeln müssen ergänzt wer-
den, wenn eine Politik der Höherquali-
fizierung durch die Arbeitslosenversi-
cherung unterstützt werden soll. Die
„berufliche Um- oder Nachschulung“
sollte zumindest auf ein höheres Qualifi-
kationsniveau zielen. Zugleich sollte sie
auf den festgestellten Eignungen und
Neigungen der Arbeitssuchenden beru-
hen müssen.
Rechtzeitig wechseln
Unzulänglich sind auch der Schutz und
die Entwicklung der physischen und psy-
chischen Leistungsfähigkeit. Denn der
Verlust der Arbeitsfähigkeit stellt sich
meist nicht schlagartig ein. Vielmehr
kündigt er sich in der Regel über viele
Jahre hinweg an. In vielen Fällen wäre es
notwendig, dass die ArbeitnehmerInnen
rechtzeitig die Tätigkeit oder den ausge-
übten Beruf wechseln. In den aktuellen
Zumutbarkeitsregeln spielt dies jedoch
keinerlei Rolle.
Höherqualifizierung als Ziel
Die Stoßrichtungen einer den Verände-
rungen auf dem Arbeitsmarkt angepass-
ten Weiterentwicklung der Zumutbar-
keitsregeln sind bereits sichtbar gewor-
den: Sie sollten nicht nur auf eine rasche
Arbeitsaufnahme ausgerichtet sein. Denn
der Preis einer dauerhaften Verschlechte-
rung der Einkommens- und Arbeitsbe-
dingungen sowie des Vergeudens beruf-
lichen Wissens ist zu hoch – für die Be-
troffenen, für die Gesellschaft.
Zukunftsfähig sind Zumutbarkeits-
regeln nur dann, wenn sie eine Arbeits-
marktpolitik zur „Vermehrung der bes-
ten Köpfe“ unterstützen. Anders ausge-
drückt: Berufliche Höherqualifizierung
sollte das zentrale Ziel einer modernen
Arbeitslosenversicherung sein. Die
Messlatte für die Qualifikation der Be-
schäftigten bleibt ihr Einkommen. Der
Ausbau des Einkommensschutzes wird
damit zur notwendigen Triebfeder einer
Arbeitsmarktpolitik, die auf Erhalt und
Ausbau des beruflichen Wissens und
Könnens von Arbeitssuchenden zielt.
Aus- und Weiterbildung können aber
sinnvollerweise nicht von Amts wegen
verordnet werden. Mitwirkung und -be-
stimmung durch die Arbeitssuchenden
müssen daher in die Zumutbarkeitsbe-
stimmungen eingebaut werden. Ein
möglicher Weg könnte darin bestehen,
lediglich „Maßnahmen der beruflichen
Wiedereingliederung“ als zumutbar gel-
ten zu lassen, die auf einer gemeinsamen
Beurteilung von Potenzial und Stoßrich-
tung einer beruflichen Höherqualifi-
zierung durch AMS und Betroffene
beruhen. Die Alterung der Erwerbs-
bevölkerung und die hohen Produktivi-
tätserfordernisse der Wirtschaft erfordern
eine deutlich bessere Berücksichtigung
von Gefährdungen der Arbeitsfähigkeit
auch in den Zumutbarkeitsregeln. Die
Berücksichtigung arbeitsmedizinischer
Prognosen sollte im Bedarfsfall bei der
Beurteilung der Zumutbarkeit Eingang
finden, um so eine „alternsgerechte“
Arbeitsmarktpolitik zu unterstützen.
Möglichkeiten verbessern
Mit solchen Veränderungen verlieren die
Zumutbarkeitsbestimmungen zu einem
guten Teil ihre Bedeutung als „Knüppel“
der Arbeitsmarktpolitik. Bei anhalten-
dem Mangel an Arbeitsplätzen geht es
nicht um das Bedienen des Ressentiments
„Wer Arbeit will, findet auch eine“. Es
geht darum, in die Verbesserung von Ar-
beits- und Einkommensmöglichkeiten zu
investieren. Das ist sowohl im Interesse
der Einzelnen als auch der Volkswirt-
schaft als Ganzes.
Blogtipp:
„Reform der Arbeitslosenversicherung:
Notwendig und überfällig“:
tinyurl.com/glo2ymn
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Moderne Zumutbarkeitsbestimmungen sollten
eine Arbeitsmarktpolitik zur Vermehrung der
„besten Köpfe“ unterstützen.