41Arbeit&Wirtschaft 6/2016
weiteren Büromitarbeiter und der gibt
seinen Telefondienst an die Teilzeit ar-
beitende Kollegin am Empfang ab.
Ganz ohne Zauberei werden so aus den
Stunden der Diplomingenieurin Stun-
den in der Portiersloge. Solche Um-
schichtungen werden von Tausenden
Unternehmen laufend gemacht – und
sie sind viel einfacher zu bewältigen, als
der plötzliche Ausfall einer Chefkonst-
rukteurin bzw. eines Chefkonstrukteurs
wegen Überarbeitung.
Zeit für neue Wege
Die neoliberale Theorie würde empfeh-
len, solche Einigungen zu befördern.
Das Problem ist wie bei streng Gläubi-
gen zu aller Zeit: Die Neoliberalen wis-
sen selbst nicht mehr, warum und wor-
an sie glauben, sie halten sich einfach an
überlieferten Traditionen fest. Sie leh-
nen die Arbeitszeitverkürzung ab, weil
dies schon ihre Vorfahren vor hundert
Jahren bei der Einführung des Acht-
stundentages so gemacht haben. Und sie
ignorieren, dass es aufgrund der verän-
derten technologischen, wirtschaftli-
chen und gesellschaftlichen Verhältnisse
längst an der Zeit wäre, auch bei der Ar-
beitszeit neue Wege zu gehen.
Die Wertschöpfungsabgabe ist ein
weiteres Beispiel, bei dem erkennbar
wird, wie tief manche Reflexe inzwi-
schen sitzen und wie sehr sie sich ohne
Einbindung der höheren Hirnfunktio-
nen in umgehender Ablehnung äußern.
Obwohl es breiter Konsens ist, dass man
die Abgaben auf Arbeit in Österreich
senken sollte, wird schon die kleinste
Maßnahme in diese Richtung abgelehnt.
Österreich hat derzeit einen relativ
hohen Anteil an Abgaben, die allein von
der Lohnsumme abhängen – also vor
allem dort anfallen, wo Menschen be-
schäftigt sind. Zudem ist der Anteil je-
ner Lohnabgaben hoch, die nichts mit
den Beschäftigten zu tun haben. Wäh-
rend die Pensionsversicherung die Ver-
sorgung der Beschäftigten im Alter und
die Arbeitslosenversicherung den Unter-
halt bei Verlust des Jobs garantieren, ist
dieser unmittelbare persönliche An-
spruch weder bei der Kommunalabgabe
noch bei den Beiträgen zum Familienlas-
tenausgleichsfonds (FLAF) gegeben. Aus
der Kommunalabgabe werden die Leis-
tungen der Gemeinden finanziert, die al-
len zugutekommen, ob sie nun Land-
wirtInnen, Selbstständige oder Pensio-
nistInnen sind. Aus dem FLAF werden
Familienbeihilfen, Kindergelder und Ähn-
liches bezahlt – auch sie bekommen alle.
Sinnvolle Umverteilung
Ein besonderer Fall ist die Krankenversi-
cherung, die auch eine relevante öffent-
liche Leistung ist. Vor allem Familien
mit vielen Kindern oder Personen, die
das Pech haben, von schwerer Krankheit
betroffen zu sein, erhalten dabei zu
Recht mehr Leistungen zu gleichen Bei-
trägen. Bei privaten Krankenversiche-
rungen müssten sie viel mehr zahlen.
Diese Umverteilung von den Gesunden
zu den Kranken ist absolut sinnvoll. Da-
bei ist auch aus neoliberaler Sicht nicht
zu rechtfertigen, dass jene Gesunden,
die ohne Arbeit von ihrem Vermögen
leben können, nichts beitragen müssen.
Über lange Zeit waren Lohneinkom-
men eine stabile und stetig wachsende
Einkommenskategorie, die zudem leicht
zu erheben ist. Auch deshalb hat man in
den Neunzigerjahren die früher noch
vorhandenen gewinnabhängigen Abga-
ben an die Gemeinden abgeschafft und
dafür die Abgaben von den Löhnen er-
höht. In einer Zeit, in der die Einkom-
men aus Löhnen und Gehältern aber
weniger und die Einkommen aus Besitz
und Profiten mehr wachsen, muss diese
Art der Finanzierung überdacht werden.
Denn um die Gesundheitsvorsorge, die
Gemeindeinfrastruktur, Familienleis-
tungen und vieles andere mehr abzusi-
chern, braucht man auch von Vermö-
genden Beiträge. Zugleich ist die unfaire
und gerade aus neoliberaler Sicht verzer-
rende Verteilung der Lasten zu ändern.
Zudem führt eine Wertschöpfungs-
abgabe nicht dazu, dass „moderne“,
hochtechnische Projekte teurer und alt-
modische, arbeitsintensive Projekte bil-
liger werden. Sie führt dazu, dass jene
Unternehmen, die mehr auf den Einsatz
menschlicher Arbeitskraft angewiesen
sind, einen geringeren Beitrag und jene,
die nur Maschinen einsetzen, einen hö-
heren Beitrag leisten müssen. Beispiele
für ersteres sind ein Konstruktionsbüro,
ein Softwareunternehmen oder eine De-
signfirma. Denn Know-how und Krea-
tivität steckt nach wie vor in Menschen,
nicht in Maschinen. Der klassische Fall
für Letzteres dagegen ist ein Flusskraft-
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Neoliberale ignorieren wie einst die
Kommunisten Fakten, die nicht in ihr
Weltbild passen. Vor allem verhindern
sie durch stures Festhalten an veralteten
Theorien viele sinnvolle Reformen.