34 Arbeit&Wirtschaft 4/2018
Ö
ffentliche Aufträge sind ein gro-
ßer Wirtschaftsfaktor und es ist
wichtig, welche Regeln dafür gel-
ten. „Das Vergaberecht behan-
delt, zu welchen Bedingungen öffent liche
Auftraggeber einkaufen“, erklärt Lena
Karasz. Die Juristin arbeitet in der Ab-
teilung Wirtschaftspolitik der AK Wien.
Ideal angewendet, dient das Vergaberecht
dem fairen Wettbewerb, soll Ungleich-
behandlungen wie Diskriminierungen
vermeiden und bei den Verfahren für
Transparenz sorgen – insbesondere, da
es sich um Steuergeld handelt, mit dem
schließlich effizient und nachhaltig ge-
wirtschaftet werden sollte. Ohne derar-
tige gesetzliche Regelungen wäre es leich-
ter zu „mauscheln“. „Eine Gemeinde
könnte etwa Aufträge an befreundete
Unternehmen vergeben, ohne dafür groß
Rechenschaft abzulegen“, so Karasz.
Insgesamt wird durch die öffentli-
chen Vergaben sehr viel Geld bewegt.
Eine Studie der TU Wien aus dem Jahr
2017 zeigt, dass die Vergabestellen von
Bund, Ländern, Gemeinden, Sozialver-
sicherungen und ausgelagerten Unter-
nehmen in Österreich jährlich rund
60,7 Milliarden Euro für die öffentliche
Beschaffung ausgeben. Das entspricht
etwa 18 Prozent des Bruttoinlandspro-
duktes. Damit besitzt die öffentliche
Auftragsvergabe eine enorme wirt-
schaftliche Bedeutung.
Die öffentlichen Beschaffungsstel-
len sind dabei keine gewöhnlichen
Marktteilnehmer, deshalb dürfen
betriebswirtschaftliche Überlegungen
nicht das alleinige Kriterium für einen
Auftrag sein. „Der Staat als öffentlicher
Auftraggeber muss einer besonderen
Vorbildrolle gerecht werden“, sagt die
AK-Expertin. „Denn bei der Auftrags-
vergabe geht es um eine nachhaltige,
gesamtwirtschaftlich effiziente Verwen-
dung von Steuergeldern.“ Somit birgt
das Vergaberecht eine soziale Verant-
wortung in sich. Bei vielen öffentlichen
Aufträgen hätte es Sinn, soziale Kriteri-
en wie die Beschäftigung von Frauen,
Langzeitarbeitslosen, Personen in Aus-
bildungsverhältnissen, Menschen mit
Behinderung und von älteren Arbeit-
nehmerInnen zu berücksichtigen und
zu fördern.
Ungenutzte Potenziale
Die elsässische Stadt Straßburg, die bei
ihren Stadterneuerungsprojekten mit
dem Verein Relais Chantiers zusam-
menarbeitet, ist dafür ein gutes Bei-
spiel: „Der Verein recherchierte, wer in
den zu sanierenden Vierteln arbeitslos
ist und welche Ausbildung diese Men-
schen haben“, erzählt Karasz. Da in
den betroffenen Gebieten auch eine
r elativ hohe Jugendarbeitslosigkeit
herrscht, waren einige Jugendliche Teil
des Projekts und hatten für die Dauer
der Arbeiten einen Job. Im Optimalfall
wirken sich die Maßnahmen wie folgt
aus: „Die Jugendlichen haben eine Be-
schäftigung und erwerben eine Qualifi-
kation, die sie unter Umständen am
ersten Arbeitsmarkt einbringen kön-
nen. Außerdem verbessert sich die
Identifikation mit ihrem Stadtteil.“
Vergleichbare Projekte gibt es auch in
Italien und Spanien.
In Österreich wird die öffentliche
Vergabe allerdings relativ selten mit so-
zialen Kriterien verknüpft. Bei den
Olympischen Jugend-Winterspielen
2012 in Innsbruck war die Beschäfti-
gung von langzeitarbeitslosen Men-
schen ein Zuschlagskriterium – die
Aufträge ergingen deshalb an zwei sozi-
al-ökonomische Betriebe aus Osttirol.
Im „Wiener Modell“ müssen sich Bie-
ter seit 2010 zur Umsetzung von
Frauenfördermaßnahmen verpflichten.
Lena Karasz: „Bei Aufträgen ab einer
gewissen Größe fordert die Stadt, dass
Gleichstellungsmaßnahmen verwirk-
licht werden.“ Die Unternehmen müs-
sen in einem Fragebogen angeben, wel-
che Frauenfördermaßnahmen sie be-
reits berücksichtigen oder in Zukunft
einführen wollen. Die emen reichen
dabei von Bildungsmaßnahmen exklu-
siv für Frauen über die Bereitstellung
einer betrieblichen oder externen Kin-
derbetreuung bis hin zu einem Wieder-
einstiegsplan.
Soziale Kriterien als Kernelement
EU-weit sind die sozialen Kriterien ein
Kernelement der Vergaberechtsreform.
Es liegt aber im Ermessen der Mitglied-
staaten, diese Regelungen anzuwenden.
In Österreich gibt es bei den Sozialpart-
nern bisher leider keinen Konsens über
die sozialen Kriterien. AK-Expertin
Karasz: „Die Wirtschaftsseite steht der
Anwendung von sozialen Kriterien in
der öffentlichen Vergabe eher skeptisch
gegenüber.“ Denselben Zugang hat
Nicht vergebens
Mit der Vergabe öffentlicher Aufträge kann der Staat viele soziale Aspekte
beeinflussen. Die Regierung setzt stattdessen auf „Entbürokratisierung“.
Sophia T. Fielhauer-Resei, Christian Resei
Freie JournalistInnen