20 Arbeit&Wirtschaft 1/2019
Beim Gesundheitssystem spielt etwa die
Anzahl der Patienten pro Krankenhaus
eine Rolle oder die Zahl der Kranken-
betten pro Person. Beim bereits erwähn-
ten „Global Competitiveness Ranking“
des WEF wird als Gesundheitsindikator
etwa die durchschnittliche gesunde Le-
benserwartung herangezogen, die in Ös-
terreich bei rund 76 Jahren liegt.
Die WIFO-Studie „Sozialstaat und
Standortqualität“ zeigte, dass Wohl-
fahrtsstaaten die Krise besser bewältigt
haben als andere. Also widersprechen
sich Sozialstaat und Wettbewerbsfähig-
keit nicht, oder?
Ein funktionierendes Sozialsystem kann
Krisen besser abfangen, insbesondere für
betroffene Personen, und es kann diese
schneller oder leichter wieder in den Ar-
beitsmarkt integrieren. Das hat sich in der
Krise bewährt. Die Studie zeigt, dass es
eine hohe Korrelation zwischen Produkti-
vität und Standortfaktoren und Wettbe-
werbsfähigkeit und Wohlstandsniveau gibt
– über die Kausalität lässt sich streiten.
Ist das Jammern über den teuren Sozi-
alstaat somit unbegründet?
Österreich hat einen sehr gut ausgebauten
Sozialstaat, und das ist nicht umsonst. Es
ist allgemein akzeptiert, dass die Steuer-
quote in Österreich im Vergleich relativ
hoch ist. Aber Österreich bietet auch etwas
dafür: Das österreichische Bildungs- und
Gesundheitssystem wird im Vergleich zu
anderen Ländern sehr gut bewertet. Netto
gesehen, hat Österreich trotz der hohen
Abgabenbelastung somit eine starke sozi-
ale Säule, was das Land insgesamt stärkt.
Bei Effektivität und Effizienz in den ein-
zelnen Bereichen gibt es sicherlich Poten-
zial, was man sich im Detail ansehen muss.
Wie bewerten Sie die Besteuerung des
Faktors Arbeit im internationalen Ver-
gleich?
Generell ist Österreich im Vergleich von
OECD und anderen Studien ein relatives
Hochsteuerland. Österreich liegt aber auch
bei den Sozialleistungen im Top-Bereich.
Österreich hat eine hohe Vermögens-
konzentration. Inwiefern hat das Ein-
fluss auf den Wirtschaftsstandort?
Eine hohe Vermögenskonzentration ist
unter wirtschaftlichen Aspekten per se
nicht unbedingt schlecht, wohl aber in
Bezug auf Verteilungsgerechtigkeit bzw.
soziale Gerechtigkeit. Sie ist somit als
polit-ökonomischer Faktor wichtig.
Die Lohnquote liegt bei 68,4 Prozent
und ist in den letzten vier Jahrzehnten
gesunken. Könnte die österreichische
Wirtschaft höhere Löhne und Gehälter
ohne Wettbewerbsnachteil vertragen?
Die Lohnquote ist hierzulande langfristig
gesunken – wie in allen anderen Ländern.
Österreich hatte eine lange Phase, in der
die Reallöhne relativ konstant geblieben
sind. Österreich könnte sich ein bisschen
höheres Reallohnwachstum leisten. Denn
die Reallöhne waren ja auch deshalb kon-
stant, weil die Inflation hierzulande höher
war als im Ausland. Es wird immer wie-
der die Benya-Formel zitiert: Produktivi-
tätswachstum plus Inflationswachstum.
Das würde ich als für Österreich verträg-
lich ansehen, es hätte einen positiven Ef-
fekt auf die Inlandsnachfrage.
Was würde eine Senkung der Lohnne-
benkosten bringen?
Aus ökonomischer Sicht wäre ein gewis-
ser Beschäftigungseffekt da. Die Frage ist
aber, wie groß dieser dann tatsächlich ist.
Wenn man die Lohnnebenkosten redu-
ziert, muss allerdings der Staat einen Steu-
erverlust ausgleichen, um die bestehen-
den Leistungen und deren Qualität wei-
terhin gewährleisten zu können.
Diskutiert wird die Abschaffung der
kalten Progression. Was hätten Arbeit-
nehmer und Arbeitnehmerinnen da-
von?
Für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerin-
nen wäre die Abschaffung der kalten Pro-
gression gut, weil es für sie eine steuerliche
Entlastung wäre, je nachdem, wie hoch
die Inflation ist und in welchen Steuer-
stufen sich die Beschäftigten befinden.
Die Abschaffung wird seit mehreren Jah-
ren diskutiert, und es gab Vorschläge, die
jetzt wieder verzögert werden. Aufseiten
der Staatseinnahmen hätte es einen nega-
tiven Effekt, was eventuell der Grund ist,
warum das derzeit nicht gemacht wird.
98 Prozent der unselbstständig Be-
schäftigten sind in einem Kollektivver-
trag. Wie wirkt sich das auf den Wirt-
schaftsstandort aus?
Österreich ist immer sehr gut gefahren
mit der Sozialpartnerschaft, schon in
den 1980er- und 1990er-Jahren. Es
braucht einen Interessenausgleich und
Stabilität für eine nachhaltige wirtschaft-
liche Entwicklung. Wie wir vorher ge-
sehen haben, gilt makroökonomische
Stabilität auch als wichtiger Wettbe-
werbs- bzw. Standortvorteil. Ich glaube,
dass die Sozialpartnerschaft ein wichti-
ger historischer Faktor ist und dass sie
einen Beitrag geleistet hat, dass Öster-
reich auf dem vierten Platz in Bezug auf
das Wohlstandsniveau liegt.
Welche Rolle spielt die Sozialpartner-
schaft heute noch?
Ich hoffe, dass die unterschiedlichen In-
teressengruppen weiterhin zusammenar-
beiten können; das scheint derzeit schwie-
riger geworden zu sein. Als stabilisieren-
der Faktor in sehr vielen Bereichen sollte
sie weiter bestehen.
Sie haben gemeint, dass Österreich ein
hohes Ausbildungsniveau hat. Gibt es
Schwachstellen in Bezug auf Bildung
– immerhin selektiert das heimische
Schulsystem bereits sehr früh.
Die Organisation des Bildungssystems ist
ein wichtiger Punkt. Meine persönliche
Meinung ist, dass sich Kinder unter-
schiedlich schnell entwickeln und daher
diese Entscheidung nach der Volksschu-
le in NMS oder AHS wenig zielführend
ist. Ein wahrscheinlich noch wichtigerer