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ie Arbeit hoch: So heißt das klas-
sische Lied der österreichischen
Arbeiterbewegung, das auf unzäh-
ligen Kundgebungen gesungen
wurde und wird. Genauso wie in früheren
Zeiten ist es auch heute notwendig, auf die
Bedeutung menschlicher Arbeit zu verwei-
sen: für die eigene Sinnstiftung, für die
Schaffung von Mehrwert und Produktivi-
tät als Grundlage für ein gutes Leben aller.
Beim Kult um die Bedeutung der Ar-
beit in unserer Bewegung ist vielleicht
manchmal der Gedanke zu kurz gekom-
men, dass das Leben, wenn es ein gutes
sein soll, nie die Arbeit allein ausmacht.
Die freie Zeit ist es doch, die wir genie-
ßen, die wir mit unseren Liebsten ver-
bringen wollen – Zeit zum Spielen, auch
zum Faulenzen, ja, und manchmal auch
zum Ausschlafen –, die das Leben erst le-
benswert macht. Neueste Studien und
unsere Erfahrungen im Kontakt mit den
Beschäftigten zeigen, dass insbesondere
Jüngere zwar gerne und mit Leidenschaft
eine gute Arbeit in einem guten Arbeits-
klima verrichten. Gleichzeitig aber legen
sie immer mehr Wert auf eine bewusste
Gestaltung ihrer Freizeit. Überlange Ar-
beitszeiten und eine Erreichbarkeit rund
um die Uhr sind längst nicht mehr „in“.
Man will freie Zeit genießen und dafür
entsprechende Rahmenbedingungen ge-
sichert haben.
Gewerkschaften waren schon immer
die wirksamste und erfolgreichste Bewe-
gung, wenn es darum ging, menschen-
würdige Arbeits- und Lebensbedingun-
gen durchzusetzen. Der Kampf um den
8-Stunden-Tag stand am Beginn unserer
Bewegung, und die Forderung nach einer
Arbeitszeitverkürzung war und ist immer
ein xer Bestandteilt unserer Agenda.
Was sich in letzter Zeit gewandelt
hat, ist, dass es dabei um mehr geht als
um eine lineare Verkürzung der wö-
chentlichen Arbeitszeit. Vielmehr geht es
um eine Gestaltung der Arbeitszeit, die
ein Mehr an Selbstbestimmung ermög-
licht, Beispiel: 4-Tage-Woche. Sie wurde
etwa bei den jüngsten KV-Verhandlun-
gen im Handel durchgesetzt und ermög-
licht es den Beschäftigten, längere durch-
gehende Freizeitblöcke zu genießen.
Zuspruch für weniger Arbeitszeit
Erste Erfahrungsberichte zeigen, dass
dieses Modell sehr viel Zuspruch findet.
Ein Beispiel dafür ist die Freizeitoption.
Erstmals in der Elektroindustrie durch-
gesetzt, kann bei diesem Modell eine Ist-
Gehaltserhöhung in eine dauerhafte Ar-
beitszeitverkürzung umgewandelt wer-
den. Wichtig dabei ist, dass es sich um
eine freiwillige Möglichkeit handelt. In-
teressanterweise nehmen sehr viele junge
Beschäftigte diese Option in Anspruch,
was einmal mehr beweist, dass mehr Frei-
zeit heute eine immense Bedeutung für
die Beschäftigten hat.
Und was macht die Regierung? Sie be-
dient primär die Interessen der Großin-
dustrie nach einer möglichst schrankenlo-
sen Ausbeutung der Arbeitskraft durch
die Ermöglichung überlanger Arbeitszei-
ten von 60 dStunden pro Woche. Hätten
wir als Gewerkschaftsbewegung nicht so
massiv gegen dieses Gesetz angekämpft,
so wäre sicher weder das Prinzip der Frei-
willigkeit (auch wenn es ein zweifelhaftes
Recht ist) in den Gesetzestext gekommen
noch die Klarstellung, dass günstigere Re-
gelung aus Betriebsvereinbarungen oder
Kollektivverträgen nicht unterlaufen wer-
den dürfen.
Als Gewerkschaftsbewegung werden
wir die Bemühungen für neue, innovative
Arbeitszeitregeln, die den Bedürfnissen
der Beschäftigten nach Selbstgestaltung
gerecht werden, weiter intensivieren. Al-
les über einen Kamm zu scheren, wie es
die Regierung tut, ist in Sachen Arbeits-
zeit jedenfalls der falsche Weg. Jede Bran-
che, jede/r Beschäftigte/r in seinen oder
ihren unterschiedlichen Lebensphasen
hat unterschiedliche Bedürfnisse. Dort,
wo wir Gestaltungsmacht haben, nämlich
auf der Ebene der Kollektivverträge oder
auch auf der betrieblichen Ebene, versu-
chen wir weiterhin, das gemeinsam mit
den BetriebsrätInnen umzusetzen. Leider
fehlt uns derzeit auf der Regierungsebene
ein Gegenüber, das gewillt ist, ein Herz
für die sozialen Anliegen der Beschäftig-
ten zu zeigen. Aber wir werden sicher
nicht lockerlassen, denn mehr und plan-
bare Freizeit ist für ein gutes Leben von
entscheidender Bedeutung.
Die Freizeit hoch!
Nicht zuletzt
von
Barbara Teiber
Bundesvorsitzende der GPA-djp©
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