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J
ugendvertrauensrätin zu werden war
die beste Entscheidung, die ich tref-
fen konnte“, sagt die 23-jährige Eli-
sabeth Kerndl im Gespräch mit der
Arbeit&Wirtschaft. Eloquent, kritisch
und engagiert: Das sind die Eigenschaf-
ten, die die junge Frau unbestritten cha-
rakterisieren. Sie nimmt einen Schluck
Espresso und strahlt über das ganze Ge-
sicht. „Ich bin richtig froh, dass mich
meine Betriebsrätin damals darauf ange-
sprochen und mich ermutigt hat, diese
Aufgabe zu übernehmen.“
Seit 2017 ist die sympathische Wie-
nerin – im Waldviertel aufgewachsen –
nun Jugendvertrauensrätin bei einer
Buchhandelskette am Westbahnhof.
Dort hat sie die Lehrausbildung „Buch-
und Medienwirtschaft“ absolviert und
vertritt mit zwei weiteren KollegInnen
die Interessen von rund 90 Lehrlingen.
Wie man die Aufgabe angeht, sei eine
persönliche Sache, das mache jeder an-
ders. In Elisabeths Fall kommt hinzu,
dass die Lehrlinge in den einzelnen Fili-
alen über ganz Österreich verstreut sind.
Das macht das Kontakthalten schwieri-
ger. Die Herausforderung dabei ist:
„Wie kann ich das Vertrauen der Ju-
gendlichen gewinnen, die ich nur sehr
selten sehe?“
Freude über Verbleib
Noch vor wenigen Monaten wollte die
Regierung den Jugendvertrauensrat ab-
schaffen. Die Anliegen der Jungen könn-
ten vom Betriebsrat mitvertreten werden,
so die Argumentation. Doch dann kam
Anfang Februar die positive Nachricht:
Der Jugendvertrauensrat soll bleiben. Für
die Österreichische Gewerkschaftsjugend
(ÖGJ) war das ein Tag zum Feiern. Mit
der großen Kampagne „JVR bleibt“ ha-
ben Hunderte engagierte Jugendliche –
so auch „Lisi“, wie sie ihre FreundInnen
nennen – über ein Jahr lang für den Er-
halt des Jugendvertrauensrats gekämpft.
Sie haben Gespräche mit MinisterInnen
geführt, Menschen auf der Straße und im
Betrieb darüber aufgeklärt, was der Ju-
gendvertrauensrat ist, und mehr als
40.000 Unterschriften gesammelt.
Erleichterung und Freude kamen zu-
sammen. Denn hätte die Regierung ih-
ren Plan, den Jugendvertrauensrat abzu-
schaffen, umgesetzt, hätte es Menschen
wie Elisabeth, die sich für die Interessen
der jungen KollegInnen stark machen,
in den Betrieben bald nicht mehr gege-
ben. Mehr als 3.000 Jugendvertrauens-
räte kümmern sich österreichweit um
die Anliegen der Lehrlinge und verbes-
sern die Ausbildung im Betrieb weiter.
Sie haben nicht nur ein offenes Ohr für
private und betriebliche Sorgen, son-
dern können Situationen abfangen, be-
vor sie zu Problemen werden. Auch viele
Firmen wissen, was sie am Jugendver-
trauensrat haben. Die Drogeriemarkt-
kette DM beispielsweise schätzt es, ge-
meinsam mit dem Jugendvertrauensrat
Themen zu diskutieren und die Organi-
sation weiterzuentwickeln.
Gewerkschaftlicher Grundstein
Vertrauen gewinnt man, indem man ehr-
lich auf die Leute zugeht, zuhört und
Hilfe anbietet. „Aber ohne Informations-
beschaffung kann ich nicht arbeiten. Da
zähle ich auch die eigene Bildung dazu“,
so die 23-jährige Elisabeth Kerndl. Bil-
dung ist der gewerkschaftliche Grund-
stein für alles, was man machen will, ist
sie sicher. „Denn frei nach Goethe: ‚Man
sieht nur, was man weiß.‘ Nur wenn man
schon ein bisschen Vorbildung hat, merkt
man im persönlichen Gespräch, ob es
rechtlich wo hakt“, weiß sie aus eigener
Erfahrung.
Der Jugendvertrauensrat bleibt, aber
zu verbessern gebe es noch einiges. Ein
großes Problem ist das irrsinnig kleine
Kontingent an Freistellungen, das ein
Jugendvertrauensrat hat. Nur zwei Wo-
chen für die Funktionsperiode von zwei
Jahren stehen einem zu. Wer die Funkti-
on ernst nimmt und sich für die betrieb-
liche Arbeit weiterbilden will, kommt
damit nicht aus. „Da hat man einen
Grundkurs für Jugendvertrauensräte, ei-
nen Aufbaukurs, interne JVR-Meetings,
Betriebsratssitzungen, externe JVR-
Meetings. Und da sind die KV-Ver-
handlungen noch gar nicht dabei“, zählt
Lisi die vielfältigen Herausforderungen
auf, die während der kurzen Freistellung
kaum zu bewältigen sind. Für sie war es
schwierig, die Kollektivvertragsverhand-
lungen mit der Arbeit zu kombinieren,
auch wenn sie viel Unterstützung von
ihrer Chefin bekommt. „Es hemmt
auch, denn wenn man es ernst nehmen
und die Probleme lösen will, kostet das
Zeit. Und das ist auch zum Vorteil der
Arbeitgeber.“
Jede Verhandlung ist anders
Kollektivvertragsverhandlungen bedeu-
ten intensive Vorbereitung. „Ich habe
auch noch nach der Arbeit intensiv re-
cherchiert, um vorbereitet zu sein“, er-
zählt die Buchhändlerin. „Aber das Ge-
fühl, fertig zu sein, hatte ich nie. Wo-
möglich auch deswegen, weil jede Ver-
handlung anders ist.“ Letztes Jahr war
sie zum ersten Mal dabei und durfte die
15.000 Lehrlinge im Handel vertreten.
Durchschnittlich acht Prozent mehr
Lehrlings entschädigung, Anspruch auf
die 4-Tage-Woche und mehr haben die
Verhandlungen für die Beschäftigten ge-
bracht. „Es war sehr inspirierend zu se-
hen, wie sich die Gewerkschaft für die
ArbeitnehmerInnen einsetzt. Das habe
ich so noch nie erlebt.“
Schon jetzt bereitet sie sich für die
nächsten Verhandlungen im Herbst
vor, um sich zu sammeln und mit mög-
lichst vielen Leuten zu reden. „Das
muss ich, weil ich nicht für 15.000
Menschen sagen kann, was sie wollen.
Da ist der eigene Tunnelblick, da sind
die eigenen Bedürfnisse, die man nicht
in den Vordergrund stellen will. Und
man will ja niemanden auslassen.“ Sie
will den Leuten auch nicht zu viel
Hoffnung machen, weil der Verhand-
lungsspielraum begrenzt ist. Es sei ein
Spagat zwischen dem eigenen Idealis-
mus, zwischen dem, was man gerne
hätte, und dem, was man wirklich
durchsetzen kann.
Ruhig bleiben
Ob in der betrieblichen Arbeit, in der
allgemeinen Gewerkschaftsarbeit oder
bei Kollektivvertragsverhandlungen – das
Um und Auf ist, Ruhe zu bewahren. Wer
sich aufregt und aus der Ruhe bringen
lässt, spielt den Arbeitgebern in die Hän-
de. „Am Verhandlungstisch fallen Aussa-
gen von Arbeitgebern, die einen sehr be-
wegen und wütend machen, die so res-
pektlos gegenüber den Beschäftigten
sind, dass man fast nicht ruhig bleiben
kann“, schildert sie ihre ersten Erfahrun-
gen bei KV-Verhandlungen.
Dankbar ist sie dennoch, historisch
wie global gesehen, dass man mit Ar-
beitgebern überhaupt am Tisch sitzen
könne, um über rahmenrechtliche oder
monetäre Forderungen zu reden. „Das
ist eine Besonderheit, die auch unbe-
dingt erhalten bleiben muss. Aber wirk-
lich zufrieden ist man halt nie“, erzählt
sie selbstkritisch. Grundsätzlich gilt: Je
breiter die Zustimmung der Bevölke-
rung, umso wirkungsvoller kann die
Gewerkschaft verhandeln, und der Or-
ganisationsgrad bestimmt schlussend-
lich das Verhandlungsergebnis mit.
„Kurz gesagt: Es müssen alle Räder inei-
nandergreifen.“
Kritisch sein und bleiben
Als Interessenvertretung im Betrieb sieht
Kerndl ihre Aufgabe auch darin, einen
positiven Einfluss auf Jugendliche auszu-
üben und die nächste Generation mög-
lichst kritisch heranzuziehen. Damit sie
reflektieren und nicht alles so hinneh-
men, wie es ist. Die Jugendversammlun-
gen widme sie meist einem Thema, so
wie etwa der Medienlandschaft in Öster-
reich und deren Besitzverhältnissen – da-
mit den angehenden BuchhändlerInnen
das Boulevard-Niveau mancher Zeitun-
gen und der politische und kirchliche
Einfluss auf manche Medien bewusst
wird.
Das Problematische bei den kom-
menden Generationen und auch bei ihrer
eigenen sei, dass vieles als selbstverständ-
lich hingenommen werde. Erst wenn die
Dinge zu wackeln beginnen, sehe man,
was alles kippen kann, reflektiert sie.
Auch der 12-Stunden-Tag ist eine mögli-
che Einschränkung für BetriebsrätInnen.
Denn je ausgelaugter die Leute durch die
Arbeit sind, umso weniger können sie
sich für die Beschäftigten einsetzen oder
sich gesellschaftlich engagieren. „Das
kommt der Wirtschaft genauso zugute
wie der 12-Stunden-Tag, und das müssen
wir verhindern. Wir arbeiten, um von et-
was leben zu können, und müssen daher
einen großen Teil unserer Zeit am Ar-
beitsplatz verbringen. Deshalb ist es mein
Ziel, diesen möglichst sinnvoll, ange-
nehm und bereichernd für die Beschäf-
tigten zu gestalten.“
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Barbara Kasper
ÖGB-Kommunikation
HeldInnen von heute und morgen
Auch in Zukunft werden JugendvertrauensrätInnen wie Elisabeth Kerndl die
Interessen der Lehrlinge in ihrem Betrieb vertreten.
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