Industriepolitik in Österreich
Wilhelmine Goldmann
Um die Industriepolitik1 eines Landes beurteilen zu können, muß
man sie im Zusammenhang mit dem Stand seiner industriellen Ent
wicklung und seiner Industriestruktur sehen. Wenn nun Österreich bis
heute kein ausgeprägtes industriepolitisches Selbstverständnis besitzt,
ja viele - auch Ökonomen - gar nicht definieren könnten, was Industrie
politik eigentlich ist, so ist dies Ausdruck einer sehr diskontinuierlichen
und von mehreren großen Brüchen gekennzeichneten industriellen
Entwicklung und einer ebensolchen staatlichen Industriepolitik.
Die Industrieentwicklung zwischen Liberalismus und
Protektionismus
Die Industriepolitik der Monarchie gestaltete sich überaus wechsel
haft: Von der Ära des aufgeklärten Absolutismus Maria Theresias und
Josephs II., die von einer ausgeprägten und aktiven Industrialisierungs
politik gekennzeichnet war (W. Müller 1983), führte eine Periode indu
striefeindlichen reaktionären Absolutismus, zur kurzen Blütezeit des
Liberalismus zu Beginn der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das kaiserli
che Patent von 1859 statuierte nach einem 10jährigen Streit zwischen
Protektionismus und Liberalismus die Gewerbefreiheit. Doch bereits
1883 folgte ein protektionistischer Rückschlag, als ein Gesetz durch die
Einführung des "Befähigungsnachweises" und der "handwerksmäßi
gen Gewerbe" die kurze Periode der Gewerbefreiheit wieder beendete.
Die extrem restriktive und protektionistische Gewerbepolitik Öster
reichs war schon damals - um 1900 - ein "internationales Unikum"
(Koren 1961, S. 236) und stellt auch heute noch ein Hindernis für eine
dynamische Entwicklung im industriell-gewerblichen Bereich dar.
Koren beschrieb das so:
"In den ständigen strukturellen Schwierigkeiten und konjunkturel
len Störungen, welche die moderne Industrialisierung schon seit ihren
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