21 . Jahrgang (1 995), Heft 1
lingt es, einen eigenen kapitalistischen
Akkumulationsprozeß zu beginnen.
Die anderen Haushalte teilen sich
zunächst, nämlich in einen gänzlich
proletarisierten Teil und einen klein
bäuerlichen oder kleingewerblichen.
Der letztere löst sich im Generations
wechsel auf. Halbproletarische Haus
halte, auf deren Existenz Parnreiter
sein ganzes Hypothesenkonstrukt er
richtet, sind im kapitalistischen Akku
mulationsprozeß konterproduktiv. Hi
storisch sind sie zudem ein reines
Übergangsphänomen und höchst
kurzlebig.
Im zweiten Kapitel gebärdet sich
Parnreiter als Regulationstheoretiker,
um dem Entstehen der ab 1985 in allen
Industrieländern beobachtbaren Ver
änderungen in der Nachfrage nach Ar
beitskraft auf die Spur zu kommen. Er
stützt sich dabei vor allem auf deut
sche Sekundärliteratur, die er mit US
Migrationsliteratur aus dem eher wei
teren Umfeld der Weltsystemansätze
verquickt. Hier ist denn auch keine
Rede mehr von einem Kapitalismus,
der auf unbezahlter Arbeit von Haus
halten beruhte. Aber dieser Bruch
scheint dem Autor nicht bewußt ge
worden zu sein. Fazit: Auf das erste
Kapitel hätte mit einigem Gewinn
oder zumindest ohne Verlust verzich
tet werden können.
Im dritten Kapitel wird ein
Überblick über die Migrationsbewe
gungen auf der Welt und ihre Verän
derungen in den achtziger Jahren ge
geben. Hier wird sehr deutlich, daß die
Akteure in internationaler Migration
nicht in erster Linie die Arbeits
migranten sind, sondern die Nachfra
ger nach Arbeitskraft, und daß inter
nationale Migration nicht einfach dem
Lohngefälle folgt, sondern daß ins
besondere die Erklärung des Phäno
mens der Langstreckenmigration die
Berücksichtigung sozialer und politi-
Wirtschaft und Gesellschaft
scher Umstände neben den unmittel
bar ökonomischen erfordert. Was
Parnreiter vielleicht zu wenig gelingt,
ist das Herausarbeiten von Über
gangsphänomenen. Er neigt sehr stark
dazu, gegenwärtige Tendenzen bis in
alle Zukunft fortzuschreiben, etwa
wenn er die mit Entwicklung in Zu
sammenhang stehende allmähliche
Migration aus der Landwirtschaft in
die Sachgüterproduktion und die
Dienstleistungen als Indiz einer un
abänderlichen "Peripherisierung" der
betroffenen Gesellschaften nimmt.
Hier ist eine wesentlich genauere, will
heißen in ihren Hypothesen differen
ziertere Analyse erforderlich, als er in
seinem Buch andeutet.
Nicht behaupten kann man, was ein
anderer Rezensent - Rainer Bauböck
in der Österreichischen Zeitschrift für
Politikwissenschaft - behauptet hat,
nämlich daß das Buch marxistisch sei.
Genau das ist es nämlich, wie die obige
Diskussion zeigt, nicht.
Das Buch enthält zum Schluß eine
umfangreiche Literaturliste. Auf einen
Index konnte dank der einfachen und
klaren Gliederung verzichtet werden.
Unangenehm ist, daß Fußnoten sich
am Ende des jeweiligen Kapitels be
finden und so wenig Information ent
halten, daß man auch noch in der Lite
raturliste nachsehen muß: bei jeder
Fußnote zweimal blättern, das läßt
man bald sein.
Noch eine abschließende Bemer
kung:
Titel 4.4.2 . 1 . auf Seite 1 14 enthält ei
nen sinnentstellenden Fehler. Sicher
muß es heißen "ökonomische Durch
dringung der Entsende"-, nicht der
"Empfängerregion". Auch auf Seite
150, wo es um Importe und Exporte
zwischen Österreich und der BRD
geht, ist ein solcher Fehler.
August Gächter
197