21 . Jahrgang (1 995), Heft 1
SOZIOGENESE DER
POLITISCHEN ÖKONOMIE
Rezension von: Alfred Bürgin,
Zur Soziogenese der politischen
Ökonomie, Metropolis-Verlag,
Marburg 1994, 426 Seiten,
DM 58 ,-/öS 460,-.
Bücher und Abhandlungen zur Dog
mengeschichte der Nationalökonomie
sind überwiegend von einem der bei
den folgenden Ansätze geprägt. Der
eine ist exemplarisch repräsentiert et
wa durch Mark Blaugs "Economic
Theory in Retrospect" . Blaugs Buch
befaßt sich mit den Beiträgen der
berühmten Ökonomen zum theoreti
schen Analyseinstrumentarium der
Ökonomie, wobei der heute erreichte
Stand dieser Wissenschaft als Maßstab
und Referenzrahmen fungiert. Es ist
klar, daß bei diesem Ansatz viele Ur
teile davon bestimmt sind, was man
als den aktuellen "Stand der ökonomi
schen Theorie" betrachtet - im Unter
schied zum "Stand der Technik" gibt
es keine amtliche Gutachterinstanz,
die einen solchen allgemeinverbind
lich definieren kann. Einem alternati
ven Ansatz folgt Karl Pribrams "Hi
story of Economic Reasoning" (1) : In
diesem Buch steht nicht die Entwick
lung des technischen Analyseinstru
mentariums im Mittelpunkt, sondern
die sozialphilosophischen, erkenntnis
theoretischen, soziologischen und po
litologischen Bezüge der ökonomi
schen Theorie.
Das Buch von Alfred Bürgin, Profes
sor für Wirtschafts- und Dogmenge
schichte an der Universität Basel, ist
zwar dem zweitgenannten Ansatz viel
stärker verpflichtet als dem ersten,
versucht aber doch ein Drittes, eine
Kombination von Sichtweisen, die in
Wirtschaft und Gesellschaft
der dogmengeschichtlichen Literatur
selten anzutreffen ist, nämlich eine
Kombination von Dogmengeschichte
und Wirtschaftsgeschichte. Es stellt in
jeweils kritischen Phasen Darstellun
gen der Entwicklung der ökonomi
schen Theorie einerseits und der rea
len Wirtschaftsentwicklung anderer
seits nebeneinander, um so die Korre
spondenz von Theorie und realer Ent
wicklung aufzuzeigen, vor allem im
Hinblick auf die Abhängigkeit des je
weiligen Standes der Theorie von
ihrem Gegenstand. Der Autor geht da
bei selektiv vor, indem er für drei Peri
oden anhand von ausgewählten theo
retischen Schriften diese Korrespon
denzen beschreibt und analysiert und
damit seine These von der Zeitgebun
denheit allen ökonomischen Denkens
zu belegen sucht.
Der erste Teil des Buches beschäftigt
sich mit dem ökonomischen Denken
der Antike vornehmlich anhand der
Schriften des Aristoteles und mit der
antiken Wirtschaftsgeschichte. Auf
die Griechen geht wohl unser Begriff
"Ökonomie" zurück, doch hat ihre An
tibanausie die Griechen bekannter
maßen daran gehindert, sich mit Fra
gen dieses Lebensbereiches in syste
matisch-theoretischer, d. h. in wissen
schaftlicher Weise, zu beschäftigen.
Aristoteles verwirft den unbegrenzten
Gelderwerb um des Erwerbes willen,
insbesondere durch Handel und Bank
geschäft. Er erwähnt zwar diese For
men der Tauschkunst, aber ohne im
einzelnen auf sie einzugehen. Sie "ge
nau zu beschreiben ist zwar nützlich
für die Praxis, uns dabei aufzuhalten
wäre aber doch zu ordinär" . (Zitiert
aus der "Politik" bei Bürgin S. 122 -
alle Seitenangaben im Text beziehen
sich auf das rezensierte Buch.) Unter
dem Aspekt der Sicherung des politi
schen Gleichgewichts in der Polis er
schien den Griechen die Erwerbskunst
eher als eine Gefahr, welche die Un
terschiede zwischen Armen und Rei
chen verstärkt. Aristoteles erkannte
andererseits sehr wohl die gesell-
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