Wirtschaft und Gesellschaft
DIE VORAUSSETZUNGEN WIRT
SCHAFTLICHEN WACHSTUMS
Rezension von: Wolfram Fischer
(Hrsg.) , Lebensstandard und
Wirtschaftssysteme, Fritz Knapp
Verlag, Frankfurt am Main 1995,
707 Seiten.
Der Sammelband Fischers trägt den
Titel "Lebensstandard und Wirt
schaftssysteme" . Doch greift dieser zu
kurz. Die Arbeit beschäftigt sich nicht
nur mit diesem Thema, sondern geht
weiter. Viele Beiträge behandeln die
Voraussetzungen des Wirtschafts
wachstums unter bestimmten histori
schen oder geographischen Gegeben
heiten. Damit leistet das Buch einen
interessanten Beitrag zu der in jünge
rer Zeit wieder in Gang gekommenen
Diskussion über die industrielle Ent
wicklung.
Zunächst vergleicht Gutmann
Marktwirtschaft und das östliche Pla
nungssystem ("Marktwirtschaftliche
und zentralgeleitete Wirtschaftsord
nungen: Ein System- und Effizienz
vergleich") , wobei er die Informa
tionsproblematik in den Vordergrund
stellt. (Bemerkenswerterweise enthält
der Aufsatz kein einziges Zitat eines
angelsächsischen Autors - wenn man
nicht Hayek als solchen bezeichnen
will.)
Von der Lippe setzt sich in einem lu
ziden Beitrag mit der Problematik von
Einkommensvergleichen auseinander
("Die Messung des Lebensstandards") ,
wobei er das System der Volkseinkom
mensrechnung, der Indexmethode so
wie die diversen Indikatorenansätze
einander gegenüberstellt. In diesem
Zusammenhang geht er auch auf die
illusionären Versuche ein, das "Ökoso
zialprodukt" zu berechnen oder "Ne
gativrechnungen" anzustellen. Be-
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22. Jahrgang (1996), Heft 3
schlossen wird der Aufsatz mit den
Schwierigkeiten der Armutsmessung.
Maddison präsentiert eine Zusam
menfassung seiner Forschungen der
letzten Jahre ("Wirtschaftswachstum
und Lebensstandard im 20. Jahrhun
dert") , indem er Wachstumsraten für
charakteristische Ländergruppen der
Welt berechnet und für die dramati
schen Wachstums- und Einkommens
unterschiede eine umfassende Begrün
dung liefert: Ausgehend von seiner
Unterscheidung in "proximate " und
"ultimate causes ", beschreibt er jene
institutionellen Voraussetzungen des
Wachstums, die weit in die - europäi
sche - Geschichte zurückreichen und
welche erst jüngst die neue Institutio
nenökonomie theoretisch aufzuarbei
ten versucht. Abschließend behandelt
Maddison die für den Lebensstandard
relevanten Veränderungen der Ausga
benstruktur der Wirtschaftssubjekte
und des Staates sowie einiger informa
tiver Indikatoren für erstere über die
Zeit.
Landes ("Wohlstand und Armut")
trägt einige Aspekte dazu bei, warum
die Industrialisierung durch Innovati
on in Indien und China nicht oder erst
in jüngster Zeit zustande gekommen
ist.
Siegenthaler wendet in seinem Bei
trag (Wege zum Wohlstand: Das Bei
spiel der USA, der Schweiz und Brasi
liens) seine kürzlich umfassend ent
wickelten Hypothesen ("Regelvertrau
en, Prosperität und Krisen: Unregel
mäßigkeiten wirtschaftlicher und so
zialer Entwicklung als Ergebnis indi
viduellen Handeins und Lernens" , Tü
bingen 1993) über die Bedeutung der
Kommunikationsstruktur für ökono
mische und soziale Veränderungen,
insbesondere für die Bewältigung von
Krisen, auf konkret solche an; so auf
die USA Ende des 19 . Jahrhunderts,
die Schweiz zwischen Weltwirt
schaftskrise und 2. Weltkrieg sowie
Brasilien während der Militärdiktatur
zwischen den sechziger und den acht
ziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Der