26. Jahrgang (2000), Heft 3 Wirtschaft und Gesellschaft
befriedigt (Äquivalenzprinzip der Besteuerung} .35 Gemäß dem Äquivalenz
prinzip wird durch Abstimmungen über die staatlichen Projekte samt ihrer
Finanzierung entschieden. Dabei werden die Stimmbürgerinnen gemäß ih
rem lndividualnutzen-Kalkül nur den unmittelbar für sie anfallenden Nutzen
berücksichtigen und ihn bloß den privaten Kosten der Besteuerung gegen
überstellen , nicht aber den volkswirtschaftlichen Alternativkosten (den Ko
sten der Nicht-Realisierung von Projektenmit Öffentlichem-Gut-Charakter) .
Die politische Entwicklung geht allerdings gerade in die Richtung der ge
rade skizzierten Phänomene: Zum einen sollen nach Aussage des neuen
Wirtschaftskammer-Präsidenten die Staatsfinanzen mit Hi lfe von Unter
nehmensberatungsfirmen saniert werden. Zum anderen wird im staatlichen
Bereich das pol itisch-admin istrative Prinzip tendenziell durch das Markt
prinzip in Form von immer mehr direkt-demokratischen, regionalisierten
und personen- statt programmorientierten Wahlentscheidungen ersetzt.
Dadurch mangelt es an Gemeinwohldenken, und die gesellschaftliche
Wohlfahrt leidet darunter.
5. Resümee
Die offiziel len, laufenden Wirtschaftsdaten auf makroökonomischer Ebe
ne, die auf Basis der am Markt produzierten und bewerteten Güter gewon
nen werden, sind als aggregierte Größen für die Bewertung der gesell
schaftl ichen Wohlfahrt (Lebensqual ität) irreführend. Neben einer weitge
henden Vernachlässigung der Nicht-Marktproduktion verbergen sie nämlich
strukturelle und qualitative Detai l informationen (Vertei lung, Ressorcen
knappheiten, Güter- und Umweltqualität) . Öffentliche Güter (Vertei lungs
gerechtigkeit, effiziente Ressourcenkonservation, gesellschaftlich wertvolle
Gütereigenschaften, Umweltgüte etc.) sind als qualitative Komponente für
die gesellschaftliche Wohlfahrt mitentscheidend, indem sie über den mate
riel len Wohlstand, über die quantitative Komponente hinausgehen. Gleich
wohl werden Wohlstandsaggregate quantitativen Charakters und kommer
ziell-marktl icher Provenienz als wirtschaftl iche und wirtschaftspolitische
Leistungs-, Problem- und Ziei-Kenngrößen verwendet, was per se schon
Verteilungskonsequenzen hat.
Im System der Marktkonkurrenz zielt individuelles Wohlstandsstreben
anreizbedingt hauptsächlich auf den materiel len Teilaspekt der Wohlfahrt
ab, obwohl öffentliche Güter mit ihrem überwiegend qualitativen Charakter
positive Rückkoppelungseffekte auf d ie langfristige Wohlstandsentwicklung
haben. Dies unterscheidet die util itaristische, l iberalistische von der sozial
konstruktivistischen , kommunitaristischen Sicht der Wirtschaftsgesel l
schaft
Die neunziger Jahre waren eine Ära der I ndividualisierung und Ent
solidarisierung, Liberalisierung und Konkurrenzierung. Aus ökonomischer
Perspektive ist dieser Gesellschaftstrend zum einen mit der Änderung der
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Problemstellungen zu erklären ,
vor deren Hintergrund die Wählerinnen zu den (rechten) Parteien mit jenen
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