30. Jahrgang (2004), Heft 2 Wirtschaft und Gesellschaft
zu U n ruhe in den Betrieben führen könnte und überhaupt poli
tisch schlecht aussehen würde. Es ist aber schwer zu verste
hen , wie ein so erfahrener Ökonom wie Sinn dazu kommt, ein
so p l u m pes Loh n d u m p i ng zu empfe h len , und d a bei an
scheinend noch damit rechnet, dass nicht alle merken , dass es
sich um eine Lohnsenkung handelt. Zweifellos würden die aus
ländischen Konku rrenten Deutsch lands d iese Loh n senkung
nicht reaktionslos h innehmen, sondern müssten woh l oder übel
eine ähnliche Maßnahme zur Wiederherstellung i h rer Konkur
renzposition setzen. Damit geht der positive Effekt beim Export
wieder verloren , während die Kontraktion der Lohneinkommen
und der Nachfrage von Deutsch land auf die anderen Länder
überg reift.
Das würde bedeuten , dass d ie gesamtwirtschaftl i che Ab
wärtsbewegung sich nach und nach in ganz Europa fortsetzen
würde. ln etwas milderer Form haben wir eine solche Entwick
l u ng schon seit zwei Jahrzeh nten , i ndem die Lohnzuwächse
leicht hinter der Produktivität zurückbleiben. Dies ist die Ursache
der immer wieder und gerade jetzt erneut so heftig beklagten
Nachfrageschwäche, d ie dazu fü hrt, d ass d ie europäische
Wirtschaft ihr Wachstumspotenzial nicht ausschöpfen kann und
die Arbeitslosigkeit steigt bzw. nicht zurückgeht. Was allerdings
Leute wie Sinn nicht daran h indert, immer noch eine zusätzliche
Schwächung der N achfrage durch Lohnsenkungen zu fordern.
Auf der Grundlage der neoklassischen Ökonomie wird ferner
argumentiert, dass durch eine Lohnsenkung die relativen Preise
für Arbeit und Kapital zugunsten des Kapitals verändert werden
m üssen, um die Beschäftigung von Arbeitskräften profitabler zu
machen, was längerfristig wieder zu mehr Beschäftigung führen
würde. Entscheidend ist in d iesem Zusammenhang die keyne
sianische Gegenargumentation. Schon Keynes argumentierte
in der Großen Depression gegen Lohnsenkungen , weil die ne
gativen nachfrageseitigen Wirkungen auf Produktion und Be
schäftigung in einer Situation der Stagnation viel schneller ein
treten als a l le positiven Wirku ngen aus einer verbesserten
Renta bil ität. U n d d ies g i lt heute genauso wie d a m a l s : einen
Nachfragemangel kann man nicht durch Kürzung der kaufkräfti
gen Nachfrage beheben . Für die Arbeitskraft insgesamt gilt eben
nicht, was für einen einzelnen Produktmarkt gilt, vorausgesetzt,
er fällt gesa mtwi rtschaftl ich n icht i n s Gewicht, bzw. es g i bt
gleichzeitig gen ügend Vorgänge in der Gegenrichtu ng: wenn
eine Ware zum erwarteten Preis nicht zur Gänze abgesetzt wer
den kan n , so wird das Ungleichgewicht dadurch beseitigt, dass
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