Wirtschaft und Gesellschaft 36. Jahrgang (2010), Heft 4
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Exklusion
Rezension von: Martin Kronauer, Exklu-
sion. Die Gefährdung des Sozialen im
hoch entwickelten Kapitalismus, 2., aktu-
alisierte und erweiterte Auflage, Campus
Verlag, Frankfurt am Main/New York
2010, 284 Seiten, € 19,90.
Ich habe das Buch mit großem Er-
kenntnisgewinn, aber auch etwas Är-
ger gelesen.
Mit der aktualisierten und erwei-
terten Auflage seines 2002 erstmals
erschienenen Buches legt Kronau-
er ein beachtens- und lesenswertes
Werk vor, dessen kritische Analyse
des Themenfeldes „Exklusion“ nichts
an Brisanz verloren hat – im Gegen-
teil. Es zielt darauf ab, „den Ausgren-
zungsbegriff (…) zu schärfen, um ihn
für weitere Analysen der Gegenwarts-
gesellschaft nutzen zu können“ (S. 9).
Diese sind angesichts fortschreitender
gesellschaftlicher Spaltungen in der
vergangenen Dekade dringlicher denn
je.
Kronauer umreißt „Exklusion“ als ein,
im Hinblick auf die Reichweite und die
Intensität, historisch neues Phänomen,
das im Wesentlichen mit dem Anstieg
von Massenarbeitslosigkeit und Armut
seit den 1980er-Jahren (wenn auch in
unterschiedlichem Ausmaß und sozi-
alstaatlich unterschiedlich abgefedert)
sowohl in Europa wie auch in den USA
beobachtet werden kann. Folgen da-
von sind eine tiefe gesellschaftliche
Spaltung sowie der Ausschluss von
wesentlichen sozialen, politischen und
gesellschaftlichen Teilhabechancen
für die davon Betroffenen. Dies sind
keineswegs nur mehr „Randgruppen“,
sondern Exklusion erfasst zunehmend
Teile der Bevölkerung aus der „Mittel-
schicht“, reicht in die Mitte der Gesell-
schaft hinein.
Kennzeichnend ist zudem, dass Ar-
beitslosigkeit und Armut vor dem Hin-
tergrund einer zuvor nie erreichten
gesellschaftlichen und politischen Ein-
bindung der Beschäftigten einerseits
und eines stark gestiegenen allgemei-
nen Lebensstandards andererseits
zunehmen. Dies schafft neue soziale
Maßstäbe, die zur Messlatte werden,
an der sich das Individuum selbst
misst und (von seiner Umwelt) ge-
messen wird. Insofern ist für Kronau-
er „Exklusion“ ein multidimensionales
Phänomen, das über rein materielle
Aspekte von Armut weit hinausgeht:
Es wirft „die Frage nach der Zukunft
der Demokratie, ihrem universalen
Geltungsanspruch und ihren sozialen
Grundlagen auf“ (S. 14).
Das Buch gliedert sich in vier Kapi-
tel, einen Ausblick und ein abschlie-
ßendes Nachwort zur zweiten Auflage.
Im ersten Abschnitt geht es um
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
zwischen der europäischen Exklusi-
onsdebatte sowie der amerikanischen
Underclass-Diskussion. In der akribi-
schen Aufarbeitung von Exklusions-
diskursen in Europa (insbesondere in
Frankreich, aber auch in Großbritan-
nien und Deutschland) und den USA
in den vergangenen 30 bis 40 Jahren
werden Gemeinsamkeiten und Unter-
schiede erörtert und relevante Aspek-
te zusammengeführt.
So ist etwa beiden Diskurssträn-
gen der spezifische historische Kon-
text gemein, in dem sie entstanden
sind – steigende Arbeitslosigkeit und
zunehmende Armut. Beiden ist auch
gemein, dass sie Armut nicht nur am
Einkommen messen, sondern „dass
sie die Qualität gesellschaftlicher Be-
ziehungen und deren Gefährdung ins