Die anhaltende Arbeitslosigkeit und die Sparmaßnahmen in vielen
Staaten lassen jedoch befürchten, dass sich das Risiko für Armut und
die soziale Ungleichheit seit 2010 verschärft hat und in den kommen-
den Jahren OECD-weit auch weiter verschärfen wird.
Für ein Anwachsen von Vermögensungleichheit gibt es erste Befun-
de aus den USA: Das Verhältnis zwischen den Reichen und Armen hat
sich weiter zu Ungunsten der Vermögenslosen verändert. Von 2007 bis
2009 gab es beträchtliche Vermögensverluste zu verzeichnen; so
fielen sowohl der Median als auch der Mittelwert in der Vermögensver-
teilung. KrisenverliererInnen unter den Reichen wurden durch Krisen-
gewinnerInnen ersetzt. Das Top-1% besitzt nach wie vor rund ein Drit-
tel des Gesamtvermögens, weitere 9% der Haushalte 39%, sodass die
Top-10% insgesamt 72% des Vermögens besitzen und stabil blieben,
währenddessen der Vermögensanteil der unteren 50% von 2,5% auf
1,5% fiel.
Der Anstieg der Ungleichheit von Einkommen und Vermögen ist kein
Krisenphänomen, sondern ein langjähriger Trend. Die Untersuchung
der Vermögensverteilung hat nur in wenigen Staaten Tradition, etwa in
den USA, Italien oder Schweden und war aufgrund der verschiedenen
Erhebungsmethoden bisher schwer vergleichbar. Zu den Einkommen
ist die Entwicklung besser dokumentiert. So veröffentlichte die OECD
in kürzeren Abständen mit „Growing Unequal“ und „Divided We Stand –
Why Inequality Keeps Rising“ zwei umfangreiche Publikationen, die
den Anstieg der Einkommensungleichheit seit den 1980er-Jahren un-
tersuchen. Der Gini-Koeffizient der verfügbaren Haushaltseinkommen
(Nettoeinkommen inklusive Transfers) stieg seitdem um 10% an.
Vielfach wurde diskutiert, was die Sozialpolitik gegen den Anstieg an
Einkommensungleichheit unternehmen könne. In der EU war unter an-
derem die Flexicurity-Debatte (bessere Kombination von flexiblen Ar-
beitsverhältnissen und sozialer Sicherheit) Folge dieser Entwicklung.
In Großbritannien und den USA wurde mit Welfare-to-work-Program-
men (NiedriglohnbezieherInnen mit Steueranreizen zur Arbeitsaufnah-
me zu bewegen) auf diese Entwicklung reagiert. Die Sozialpolitik ver-
suchte also, die Ergebnisse einer immer ungleicher werdenden Primär-
verteilung mit (nicht umunstrittenen) Maßnahmen zu bekämpfen.
Den neoklassischen ökonomischen Mainstream beunruhigte hinge-
gen die steigende Ungleichheit bis zur Finanzkrise nicht. Ungleichheit
ist demnach eine Frage von Präferenzen, also politischen oder Wertur-
teilen, aber nicht Bestandteil makroökonomischer Analysen. Ob stei-
gende Ungleichheit negative Auswirkungen auf die ökonomische Ent-
wicklung hat, wurde ambivalent beurteilt. Ungleichheit wurde von den
BefürworterInnen durchaus als Leistungsanreiz gesehen, und damit
als positiv, solange Chancengleichheit für alle gewährleistet wird, was
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Wirtschaft und Gesellschaft 39. Jahrgang (2013), Heft 2