Über die Bedeutung
von Kapitaleinkommen für
die Einkommensverteilung Österreichs1
Stefan Humer, Mathias Moser, Matthias Schnetzer, Michael Ertl,
Atila Kilic
1. Einleitung
Nachdem Verteilungsfragen im Allgemeinen, aber auch jene von Ein-
kommen und Vermögen im Speziellen in den letzten Jahrzehnten keinen
Platz im ökonomischen Diskurs fanden, hat nicht zuletzt die weltweite Fi-
nanz- und Wirtschaftskrise das Interesse an einer wissenschaftlich fun-
dierten Analyse des Ausmaßes und der Auswirkungen von Einkommen-
sungleichheit in entwickelten Volkswirtschaften neu entfacht. So erkennen
etwa Rajan (2011), Stockhammer (2011), Feigl, Marterbauer und Rehm
(2012), Van Treeck und Sturn (2012) sowie Stiglitz (2012) in der zuneh-
menden Polarisierung der Einkommen und Vermögen eine strukturelle Ur-
sache von krisenhaften Entwicklungen. Fitoussi, Sen und Stiglitz (2010)
heben hervor, dass soziale und ökonomische Phänomene generell nicht
ausschließlich auf Aggregatebene betrachtet, sondern jeweils um deren
Verteilungsperspektive ergänzt werden sollten. Eine detaillierte Analyse
auf Basis von Mikrodaten würde indessen eine Berücksichtigung der He-
terogenität der Individuen und Haushalte ermöglichen und erlaubte so die
Ableitung zielgerichteter wirtschaftspolitischen Handlungsempfehlungen.
In Hinblick auf die Einkommensverteilung in Österreich war eine umfas-
sende Analyse aufgrund der mangelnden Datenverfügbarkeit bis vor Kur-
zem nicht möglich. Während die vorhandenen administrativen Quellen
(Lohnsteuerstatistik, Statistik der Einkommensteuer, Integrierte Lohn- und
Einkommensteuerstatistik, Beitragsstatistiken des Hauptverbands der So-
zialversicherungsträger) jeweils nur einen Teil der Einkommensquellen
von privaten Haushalten erfassen, sind in Stichprobenerhebungen wie
dem EU-SILC zwar alle Einkommensquellen enthalten, jedoch besonders
an den Rändern der Verteilung untererfasst. Daraus resultierend konnten
sich Untersuchungen in der Vergangenheit nur auf die Analyse einzelner
Einkunftsarten beschränken: Christl (1980); Chaloupek (1980); Gusenleit-
ner, Winter-Ebmer und Zweimüller (1996); Mesch (2003, 2004); Schweit-
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39. Jahrgang (2013), Heft 4 Wirtschaft und Gesellschaft