DRdA-infas n 6/2017 n November 345
ENTSCHEIDUNGEN n ARBEITSRECHT
Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH betreffend
sechste Urlaubswoche
Im August 2017 hat der OGH dem EuGH die Fra-
ge vorgelegt, ob die einschlägigen Regelungen im
österreichischen Urlaubsrecht über die Anrech-
nung von Vordienstzeiten für die sechste Urlaubs-
woche mit dem EU-Recht und insb mit der AN-
Freizügigkeit gem Art 45 AEUV vereinbar sind.
Seitens der Kl des Verfahrens wird vorgebracht,
dass AN in Österreich überwiegend in Öster-
reich arbeiten und dadurch in der Regel nach 25
Jahren Beschäftigung den Anspruch auf die
sechste Urlaubswoche gem § 2 Abs 1 UrlG erwer-
ben. AN in einem anderen Mitgliedstaat werden
meist ebenso überwiegend in ihrem Heimatstaat
bei einem AG arbeiten und nach dem Recht die-
ses Mitgliedstaates ihren Urlaubsanspruch er-
werben. Wechseln AN aus anderen Mitgliedstaa-
ten irgendwann in ihrem Berufsleben nach Ös-
terreich, so werden ihre Vordienstzeiten nur mit
maximal fünf Jahren angerechnet. Die restlichen
Vordienstzeiten gehen urlaubsrechtlich verloren.
Dadurch sind aber Wander-AN immer negativ
betroffen, indem für sie infolge Wechsels des AG
in Verbindung mit einem Wechsel des Arbeits-
orts in unterschiedlichen Mitgliedstaaten die Be-
schränkung der Anrechnung von Vordienstzei-
ten zum Tragen kommt. Dies bewirkt eine Be-
schränkung der AN-Freizügigkeit.
Die Bekl argumentierte insb damit, dass ohne
zeitliche Beschränkung der Anrechnung von
Vordienstzeiten AN, die entweder laufend oder
nach 24 Arbeitsjahren den Arbeitsplatz wech-
seln, nach insgesamt 25 Jahren Anspruch auf die
sechste Urlaubswoche haben. Damit müsste ein
einziger AG die gesamte Last für die zusätzliche
Urlaubswoche tragen, was einer gerechten Las-
tenverteilung widerspreche.
Weiters wird vorgebracht, dass die Anrechnung
hinsichtlich jener Zeiten, die bei ein und demsel-
ben AG erbracht werden eine Belohnung für die
Betriebstreue und damit eine Treueprämie dar-
stellt. Dies ist ein legitimes Schutzziel bzw ein
zwingendes Erfordernis des Allgemeininteres-
ses, welches eine allfällige Beschränkung der
AN-Freizügigkeit rechtfertigt.
Zum Argument der Betriebstreue wendet die Kl
ua ein, dass der AG die Erreichung der sechsten
Urlaubswoche immer durch AG-Kündigung be-
enden kann. Die Begrenzung der Anrechnung
bei einem Wechsel ist also nicht geeignet, die
Betriebstreue des AN zu belohnen bzw ist diese
Regelung unverhältnismäßig. Von der Freizügig-
keit sollen nicht nur AG, sondern auch AN profi-
tieren können.
Im Zusammenhang mit der Frage einer allfälli-
gen Rechtfertigung der Beschränkung der
AN-Freizügigkeit weist der OGH auch darauf
hin, dass der Regelung auch das beschäftigungs-
politische Ziel, älteren AN die Eingliederung in
den Arbeitsprozess zu ermöglichen, zu Grunde
liegt. Ein höherer Urlaubsanspruch kann näm-
lich dazu führen, dass es für ältere AN schwieri-
ger ist, einen neuen Arbeitsplatz zu finden.
WALTER GAGAWCZUK
Rechtsgeschäftliche Vertragsübernahmen stellen keine
Auflösungen iSd § 45a Abs 1 AMFG dar
Der AN war bei der AG als Kraftfahrer von
8.9.2014 bis 5.6.2016 beschäftigt. Das Arbeitsver-
hältnis wurde durch AG-Kündigung am 18.5.2016
beendet.
Zwischen der AG, einer dritten GmbH und dem
AN sowie 22 weiteren Mitarbeitern der AG wur-
den jeweils „Arbeitsvertragsübernahmen ohne
Betriebsübergang“ vereinbart.
Danach wurden die bestehenden Arbeitsverhält-
nisse dieser Mitarbeiter ab 1.5.2016 auf die dritte
GmbH übertragen und von dieser unter Aufrecht-
erhaltung der Arbeitsverhältnisse mit allen Rech-
ten und Pflichten übernommen. Die AG hat keine
Anzeige gem § 45a Arbeitsmarktförderungsgesetz
(AMFG) erstattet. Der AN brachte daraufhin eine
Klage auf Feststellung des aufrechten Bestands
seines Arbeitsverhältnisses ein und machte gel-
tend, dass die Kündigung mangels Anzeige gem
§ 45a AMFG rechtsunwirksam sei.
Strittig ist, ob diese Vertragsübernahmen bei der
Berechnung des Schwellenwerts des § 45a Abs 1
Z 1 AMFG (wonach die AG das Arbeitsmarktser-
vice [AMS] durch schriftliche Anzeige zu verstän-
digen hat, wenn sie beabsichtigt, Arbeitsverhält-
nisse von mindestens fünf AN in Betrieben mit
in der Regel mehr als 20 und weniger als 100 Be-
schäftigten innerhalb eines Zeitraumes von 30
Tagen aufzulösen) zu berücksichtigen sind und
die Kündigung des Kl dann infolge unterlassener
Anzeige der Bekl nach § 45a Abs 5 Z 1 AMFG
rechtsunwirksam ist.
186
Art 45 AEUV
(Arbeitnehmer
freizügigkeit);
§ 2 und 3 UrlG
OGH
29.6.2017,
8 ObA 33/17m
187
§ 45a AMFG
OGH
25.7.2017,
9 ObA 75/17w