DRdA-infas n 4/2020 n August 307
Pflege von Angehörigen – Aktuelle Judikatur zur Weiter- und Selbstversicherung in der PV n C. KRAMMER/P. A. ZHANG
chen Absicherung pflegender naher Angehöriger,
iFamZ 2010, 81) nicht möglich, dass sich eine pfle-
gende Angehörige begünstigt selbstversichert und
die zweite begünstigt weiterversichert.
In Anbetracht der gegenständlichen Judikatur
kann aber davon ausgegangen werden, dass dies
sehr wohl zulässig ist, wenn das geforderte Aus-
maß der Beanspruchung der Arbeitskraft durch
die Pflege und auch die sonstigen Voraussetzun-
gen jeweils erfüllt sind.
Nach Meinung der Autorinnen trägt diese Ausle-
gung der gegenständlichen Judikatur der Realität
der pflegenden Angehörigen insofern Rechnung,
als bei hohem Betreuungsbedarf einer Pflegebe-
dürftigen nicht angenommen werden kann, dass
eine Person alleine diesen bewältigen könne.
Wenn die begünstigte Selbstversicherung in der
PV auch in solchen Fällen nur für eine pflegende
Angehörige möglich ist, stellt sich die Frage der
Kompensation des zusätzlichen Betreuungsbedar-
fes. Dass es in solchen Fällen zu informeller Be-
treuung durch weitere Angehörige ohne entspre-
chende Selbstversicherungsmöglichkeit kommt, ist
wahrscheinlich.
3.3. Fazit
Der VwGH hat durch seine aktuellen Entscheidun-
gen einiges an Klarheit, insb hinsichtlich der not-
wendigen Beanspruchung der Arbeitskraft für die
verschiedenen Formen der Absicherung pflegen-
der Angehöriger, gebracht. Es scheint, als wäre der
VwGH eher „großzügig“ bzw als würde er eher
versuchen, die Rechtsfragen iSd pflegenden Ange-
hörigen zu lösen. Dies ist in Anbetracht der oft-
mals sehr schwierigen Lage der Betroffenen grund-
sätzlich auch zu begrüßen. Die jüngste Judikatur
geht aber wohl über das Notwendige hinaus und
führt auch nicht wirklich zu einer Verbesserung
für den Großteil der Betroffenen. Daher sollen im
nächsten Kapitel mögliche Maßnahmen vorge-
schlagen werden, die nach Ansicht der Autorinnen
wichtig wären, um die Situation pflegender Ange-
höriger nachhaltig zu verbessern.
4. Gesellschaftliche Bedeutung und
mögliche Maßnahmen
Die Betreuung und Pflege von Angehörigen stellt
viele Betroffene vor die Herausforderung, zwi-
schen Beruf und oft intensiver Betreuung einer na-
hestehenden Person zu wählen. Die Ausweitung
der Selbstversicherung auch für berufstätige Perso-
nen ist daher ein wichtiger Schritt, zu verhindern,
dass vor allem Frauen aufgrund der Pflege ihre Be-
rufstätigkeit aufgeben müssen. Auch eine ange-
messene Bewertung von Zeiten der Pflege und Be-
treuung in der PV ist ein wesentlicher Hebel, um
die großteils weiblichen pflegenden Angehörigen
entsprechend abzusichern. Gleichzeitig besteht die
Gefahr, dass gesellschaftlicher Druck und Verant-
wortungsübernahme gegenüber Angehörigen so-
wie der Mangel an leistbaren Angeboten in der
extramuralen Langzeitpflege eine echte Wahlmög-
lichkeit für viele Frauen de facto ausschließt. Au-
ßerdem zeigen Erfahrungen in der Interessenver-
tretung, dass die Doppelbelastung zu gesundheit-
lichen Beeinträchtigungen führen kann.
4.1. Mögliche Maßnahmen
Es ist notwendig, allen Betroffenen mehr Möglich-
keiten insb auch zur finanziellen Absicherung
während der Pflege (und nicht nur die Absiche-
rung für die Pension) zu schaffen. Die Möglichkei-
ten der Pflegekarenz und -teilzeit sind zeitlich sehr
begrenzt und reichen dafür oftmals nicht aus. Eine
Verbesserung oder Ausweitung in diesem Bereich
wäre daher besonders wichtig.
Als Sofortmaßnahmen können die Valorisierung
des Pflegegeldes und der Ausbau alternativer Be-
treuungsformen mit entsprechend flexiblen Ange-
boten sowie eine umfassende, schnelle Informati-
on über Unterstützungsangebote Abhilfe leisten.
Langfristig ist jedenfalls eine ausreichende Imple-
mentierung von Langzeitpflege in das öffentliche
Gesundheitssystem unumgänglich, um echte
Wahlfreiheit für Pflegebedürftige und ihre Ange-
hörigen zu gewährleisten. Pflege und Betreuung
durch qualifiziertes und entsprechend entlohntes
Personal muss daher unabhängig von der finanzi-
ellen Leistungsfähigkeit der Betroffenen sicherge-
stellt werden. Dies bedarf einer nachhaltigen soli-
darischen Finanzierung im Rahmen des öffentli-
chen Gesundheits- und Sozialsystems.
Die Relevanz fachlich richtiger Pflegegeldeinstu-
fungen sei an dieser Stelle hervorgehoben. Insb
auch die stärkere Berücksichtigung psychosozialer
Fragstellungen der Begleitung, Anleitung und Mo-
tivation von kognitiv eingeschränkten Menschen
kann die systematisch schlechteren Einstufungen
bei Demenz oder anderen psychischen Erkrankun-
gen hintanhalten. Dies ist im Zusammenhang mit
dem gegenständlichen Thema vor allem deswegen
wichtig, da die Gewährung von Pflegegeld mindes-
tens der Stufe 3 für die begünstigte Selbst- oder
Weiterversicherung in der PV Voraussetzung ist.
Die Autorinnen sehen sich auf Grund der aktuel-
len sozialpolitischen Brisanz in der Verantwor-
tung, im Rahmen dieses Beitrags darauf hinzuwei-
sen, dass das Modell der 24-Stunden-Betreuung
dringender struktureller Überarbeitung bedarf.
Nur ein öffentlich finanziertes Anstellungsmodell
der BetreuerInnen bei (öffentlichen) Trägern ge-
währleistet gute Arbeitsbedingungen und qualita-
tive Betreuung und Pflege.
CAROLINE KRAMMER/PIA ANDREA ZHANG