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cher Männerberufe durch Frauen in der früheren DDR (in Verbindung mit einer wirklich be-
darfsgerechten Kinderbetreuung) bis heute nach, auch wenn die Wünsche der Frauen nach
Vollzeitarbeit durch die hohe Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland häufig nicht realisiert wer-
den können.
Aber auch in Westdeutschland entspricht die Teilzeitarbeit vielfach nicht mehr den Wün-
schen der Frauen (der Männer sowieso nicht: 75 % der teilzeitbeschäftigten Männer arbei-
ten unfreiwillig in Teilzeit). Über 50 % der teilzeitbeschäftigten Frauen würden gerne mehr
arbeiten – die sozialversicherten Teilzeitbeschäftigten im Schnitt drei Stunden mehr pro
Woche, die geringfügig beschäftigten Minijobberinnen sogar acht Stunden mehr pro Wo-
che (vgl. Holst/Seifert 2012). Diese Wünsche sind auch ausgesprochen rational: Die bei uns
üblichen kurzen Teilzeitarbeitszeiten lassen Arbeitsmarktexpertinnen und -experten bereits
von der „Teilzeitfalle“ sprechen. Teilzeitbeschäftigte erwirtschaften kein existenzsicherndes
Einkommen. Sie werden im Schnitt schlechter bezahlt (der Stundenlohn ist um ca. 20 %
geringer bei identischer Tätigkeit), sind von einer Karriere meistens ausgeschlossen und
haben mehr oder weniger eine Garantie auf Altersarmut. Der Gender-Pension-Gap, d. h.
der Rentenunterschied zwischen Männern und Frauen, ist mit 45 % mehr als doppelt so
groß wie der Gender-Pay-Gap.26 Der „freiwilligen“ Teilzeitarbeit von Frauen liegt in der Re-
gel ein partnerschaftliches Arrangement mit einem besser verdienenden Mann zugrunde,
mit der entsprechenden Abhängigkeit vom Mann und entsprechend katastrophalen Folgen
im Falle von Trennung bzw. Scheidung. Bei teilzeitbeschäftigten Alleinerziehenden wird die
Abhängigkeit vom Mann oft nur durch die vom Staat ersetzt. Den größten Anteil an soge-
nannten AufstockerInnen stellen alleinstehende teilzeit- oder geringfügig beschäftigte
Frauen.
TRADITION BEI DER ARBEITSTEILUNG
Ganz wesentliche Ursache für all diese Zusammenhänge ist die besondere Hartnäckigkeit
einer traditionellen Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau in Deutschland (v. a. im Westen
des Landes, in Ostdeutschland sah und sieht das noch anders aus). Mit Ausbreitung der
bürgerlichen Ehe und Kleinfamilie als das vorbildliche Familienmodell auch in der ArbeiterIn-
nenklasse wurde das Alleinernährermodell zur Norm: Der Mann ist erwerbstätig und verdient
das Geld, um die Familie zu ernähren, während die Frau zu Hause bleibt und sich aus-
schließlich um Haushalt und Kinder kümmert. Inzwischen ist dieses Modell von der soge-
nannten „modernisierten Versorgerehe“ (Pfau-Effinger 1998) abgelöst worden, in der der
Mann nach wie vor in Vollzeit erwerbstätig ist und die Frau in Teilzeit, in der Regel halbtags,
aber weiterhin für (fast die ganze) Haus- und Sorgearbeit zuständig.
Auch wenn junge Väter sich heute, anders als ihre Väter, an der Erziehung und Betreuung
ihrer Kinder beteiligen wollen, ist ihr Drang zur Beteiligung an der Hausarbeit nach wie
vor sehr gering. Ein egalitäres Familienmodell, wo beide gleich lang erwerbstätig sind
und sich gleichermaßen um Haushalt und Kinder kümmern, kommt in Deutschland immer
26 In Westdeutschland beträgt der Gender-Pension-Gap 52 %, in Ostdeutschland 32 % (vgl. BMFSFJ 2011).