8.6.1. Abfertigung
8.6.1.1. Entwicklungsgeschichte – Begriff – Funktion
Die Abfertigung bildet zweifellos einen der wesentlichsten Ansprüche im Zuge der Beendi-
gung des Arbeitsverhältnisses. Entwicklungsgeschichtlich sind drei Etappen zu unterschei-
den. In einer ersten Phase war die Abfertigung als ein durch die Auflösung bedingtes Entgelt
nur für bestimmte Arbeitnehmergruppen vorgesehen (insb für die Angestellten, vgl §§ 23,
23a AngG; s weiters §§ 22, 22a GAngG, § 35 VBG, § 31 LArbG, § 17 HGHAG)764. In
einer zweiten Phase wurde durch das Arbeiterabfertigungsgesetz 1979 der Anspruch auf
die Abfertigung auf so gut wie alle Arbeitnehmer ausgeweitet (bezüglich der Sonderregelun-
gen für Bauarbeiter, Rundfunkmitarbeiter, Hausgehilfen und Hausangestellte sowie Land-
arbeiter vgl 8.6.1.5.1 bis 8.6.1.5.4). Durch das betriebliche Mitarbeitervorsorge-
gesetz 2002 (BMVG) ist es zu einem Strukturwandel insofern gekommen, als das auslösen-
de Element für die Abfertigung zwar weiterhin die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist,
die Leistung aber nicht mehr gegenüber dem Arbeitgeber, sondern gegenüber der Mitarbei-
ter-Vorsorgekasse geltend gemacht wird. Der Arbeitgeber leistet nur regelmäßige Beiträge
an die Mitarbeiter-Vorsorgekasse. Inhaltlich kommt es damit zu einem Wandel des An-
spruchs. Der ursprünglich ausschließlich arbeitsrechtliche Anspruch wird zu einer Art
sozialrechtlicher Leistung, die nur noch arbeitsrechtliche Tatbestände als Anknüpfungs-
punkte heranzieht.
Mit dem Übergang zum BMVG, seit 1. 1. 2008 Betriebliches Mitarbeiter- und Selbständi-
genvorsorgeG (BMSVG; dazu unten), ist auch ein gewisser Funktionswandel unverkenn-
bar. Die Abfertigung nach altem Typus (vgl hiezu unter 8.6.1.2) wird stets als ein durch die
Beendigung des Arbeitsverhältnisses bedingtes Entgelt verstanden765. Die Bedeutung der
Abfertigung nach altem Recht beschränkt sich nicht auf eine einzige Funktion. Auf Grund
ihrer Abhängigkeit vomAusmaß der Dienstzeit und von der Beendigungsform (vgl 8.6.1.2.1
u 8.6.1.2.6) kommt ihr am ehesten der Charakter einer Treueprämie zu. Die Abfertigung
beinhaltet aber zweifellos auch Elemente einer Versorgung und Überbrückung sowie einer
einmaligen Abschlagszahlung für die geleisteten Dienste bzw eines Nachteilsausgleichs für
die erfolgte Kündigung766. In einem sehr weiten und abstrakten Sinn kann die Abfertigung
nach altem Recht auch als Beteiligung am Unternehmensgewinn verstanden werden. Die
Abfertigung nach neuem Recht (vgl hiezu 8.6.1.3) verliert weitgehend ihren Charakter
als Treueprämie, da die Anwartschaften auf die Abfertigung das einzelne Arbeitsverhältnis
überdauern. In Wegfall gerät vor allem auch das bestandsichernde Element der Abfertigung.
Für den Arbeitgeber entfällt die Notwendigkeit zur Schaffung von Liquiditätsreserven im
Ansprüche aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses
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8.6.1.
764 Als Überblick vgl etwa Kirschbaum, Das System des österreichischen Abfertigungsrechts, in Runggaldier
(Hrsg), Abfertigungsrecht (1991), 17; Risak, „Abfertigung neu“ für freie Dienstnehmer und Selbständige,
ZAS 2008, 46.
765 Martinek/Schwarz, Abfertigung (1980), 315 ff; Migsch, Abfertigung für Arbeiter und Angestellte (1982), 83;
Dusak/Schrammel, Die Abfertigungsregelungen aus juristischer Sicht, in Genser (Hrsg), Abfertigungsregelun-
gen im Spannungsfeld der Wirtschaftspolitik – eine interdisziplinäre Analyse (1987), 10.
766 Vgl Steindl, Die Entstehungsgeschichte der Abfertigungsbestimmungen, in Runggaldier (Hrsg), Abfertigungs-
recht (1991), 97.
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