Nr. 7 – November 2002
Diese Ausgabe des IFAM-
Infos steht ganz im Zeichen
des neuen Urteils über die
Haftung des Aufsichtsrates.
Mit viel Spannung wurde dar-
auf gewartet, war es doch
nach über 20 Jahren das ers-
te Mal, dass der Aufsichtsrat
wegen Verletzung der Sorg-
faltspflicht auf Schadenersatz
geklagt wurde. Joachim
Preiss hat sich diesem Thema
angenommen und nebenste-
henden Leitartikel verfasst.
Das Thema „Sorgfalt“ der Un-
ternehmensorgane ist durch
die zahlreichen Bilanzskanda-
le ohnedies wieder ins Ram-
penlicht gerückt. Auch der im
Oktober vom Kapitalmarktbe-
auftragten Dr. Schenz vorge-
stellte Corporate Governance
Kodex zielt in diese Richtung.
Das Vertrauen in die Kapital-
märkte soll durch den Kodex
wiedergewonnen werden.
Wir werden uns dieser Pro-
blematik ausführlich in unse-
rer Veranstaltung
„Wie können Enron und Co in
Zukunft verhindert werden?
Unternehmensüberwachung
im Brennpunkt“
am 26. November widmen
(siehe letzte Seite).
IFAM-Redaktionsteam
Ines Hofmann
Heinz Leitsmüller
Ruth Naderer
Liebe Kollegin,
lieber Kollege!
Neues Urteil des OGH
zur Haftung des Aufsichtsrats
Joachim Preiss, Abteilung für Sozialpolitik der AK-Wien
Die Entscheidung des OGH
im Jahr 1977
Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat
sich zuletzt im Jahre 1977 mit der
Haftung von Aufsichtsräten im Fall
der Unternehmensinsolvenz be-
schäftigt (OGH 31.5.1977, 5 Ob
306/76, JBl 1978, 158). Damals
ging es um den Konkurs einer
Bank, der die mangelnde Besiche-
rung von Großkrediten zum Ver-
hängnis wurde. In dieser Entschei-
dung legte der OGH – offensichtlich
unter dem Eindruck grober Ver-
säumnisse der dort betroffenen
Aufsichtsratsmitglieder – einen
strengen Sorgfaltsmaßstab an. Ein
ordentliches Aufsichtsratsmitglied
müsse in geschäftlichen und finan-
ziellen Belangen ein größeres Maß
an Erfahrung und Wissen als ein
durchschnittlicher Kaufmann ha-
ben. Und es müsse die Fähigkeit
besitzen, schwierige rechtliche
und wirtschaftliche Zusammen-
hänge zu erkennen und deren Aus-
wirkung auf die Gesellschaft zu be-
urteilen. Diese Aussagen des OGH
aus 1977 wurden von den meisten
Fachleuten kritisiert und als rea-
litätsfremd bezeichnet. Die Fach-
welt wartete also seit 1977 ge-
spannt darauf, ob der OGH seine ri-
gide Linie bei einem neuen An-
lassfall trotz der zahlreichen Kritik
aufrechterhalten würde.
Der Anlassfall für die neue
Entscheidung
Im Februar 2002 hatte das Warten
ein Ende. Der OGH hatte nämlich
über eine Klage gegen die Auf-
sichtsräte der 1996 in Konkurs ge-
gangenen Spedition „Intercontinen-
tale GmbH“ zu entscheiden (OGH
26.2.2002, 1 Ob 144/01k, ZIK
2002, 92 = RdW 2002, 342). Der
Masseverwalter der Intercontinen-
tale warf den Aufsichtsräten vor,
dass sie bereits 1993 die Ge-
schäftsführung hätten auffordern
müssen, Konkurs anzumelden.
Durch die Untätigkeit des Aufsichts-
rates wäre ein Schaden von über
1 Mio. € entstanden. Tatsächlich
wurde im Verfahren festgestellt,
dass trotz der äußerst schwierigen
wirtschaftlichen Lage der Spedition
zwischen 1993 und 1996 nur spo-
radisch Aufsichtsratssitzungen ab-
gehalten wurden.
Bis zum Konkurs 1996 hatte die
Spedition überlebt, weil die briti-
sche Muttergesellschaft immer wie-
der Zuschüsse gegeben hatte. Die-
se Quelle versiegte aber durch die
Insolvenz der britischen Mutter, wo-
mit auch das Schicksal der öster-
reichischen Tochter besiegelt war.
Abb: www.microsoft.com
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