Sjite 4 Nr. 186 SOLIDARITÄT
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Die in der Gewerkschaft der Angestelllen der freien Berufe organisierten
Künstler haben beschlossen, zugunsten der Opfer der holländischen Über¬
schwemmungskatastrophe in mehreren Theater- und Varietevorstellungen
kostenlos aufzutreten und den Reingewinn dieser Veranstaltungen der Hol¬
landhilfe des österreichischen Gewerkschaftsbundes zur Verfügung zu
stellen.
Das ist ein schönes Beispiel inter¬
nationaler Solidarität, das sich wür¬
dig an die Opferfreudigkeit der öster¬
reichischen Arbeiter und Angestell¬
ten reiht, die bisher weit über drei
Millionen Schilling für die Holland¬
hilfe gespendet haben. Wir haben in
diesem Zusammenhang mit einigen
Artisten gesprochen,- sie ließen uns
einen Blick hinter die Kulissen ihres
„glanzvollen“ Berufes tun.
Artisten... Tausend phantastische
Gedanken von hohen Zirkuskuppeln
und glitzernden Kostümen, atem-
raubenden Sensationen in prunk¬
vollen Varietepalästen werden bei
diesem Zauberwort wach. Und die
Wirklichkeit? Jahrelange harte Ar¬
beit bis die Nummer „sitzt“, dann die
ständige Jagd nach neuen Engage¬
ments, herumzigeunern von Stadt zu
Stadt und abends im Rampenlicht oft
ein Spiel mit dem Leben, serviert mit
strahlendem Lächeln. Aber es ist eine
magische Kraft, die alle, die einmal
Kulissenstaub geatmet haben, immer
wieder in das Rampenlicht zieht. Und
es ist schwer, hier die Maße einer
allgemeinen Lebensauffassung anzu¬
legen. Durch keine Sorge und Ent¬
behrung läßt sich der ewige Glaube
des Artisten erschüttern, daß ihm
Schönheit, Charme und außergewöhnliches Können haben das Wiener Staats¬
opernballett weltberühmt gemacht. Ein Walzer für die Hollar.dhilfe.
Sechs Auftritte an einem Abend. Die Saison ist kurz und muß ausgenützt
werden. Varietevorstellung auf dem Ball der „Solidarität".
Täglich zweimal den Kopf in den Rachen eines Löwen zu stecken, ist ein
Spiel mit dem Tod. Die Welt aber will Sensationen.
sehen, die besonders sensationelle
akrobatische Schaunummern heraus-
bring-en, erreichen internationale Be¬
rühmtheit. In den Jahren 1945 bis
1947 war der Zustrom zu den Artisten
enorm. Der aufgeblähte Schilling¬
umlauf hatte gerade in den Ver-
gnügungsbetrieben eine Scheinkon¬
junktur hervorgerufen, die mit der
Festigung der Währung zu-sammen-
brach. Heute fehlen in Wien die
großen Varietestätten Ronacher,
Leicht, Apollo. Auch in den Bundes¬
ländern will niemand das Risiko
großer Varietevorstellungen überneh¬
men.
Wie in keinem anderen Beruf gilt
daher bei den Artisten heute das
Sprichwort: „Viele sind berufen, aber
wenige sind auserwählt." Und gar oft
zerflattert der flitterbehangene Lügen¬
schleier, der die großen, unerfüllten
Hoffnungen von Ruhm und Karriere
trügerisch verdeckt. Und manch küh¬
ner Traum von Glanz und rauschen¬
den Erfolgen geht in einem Zehn-
minutenengagement im Extrazimmer
eines Vorstadtgasthauses unter.
Franz N e k u 1 a - B e r t o n
* ?
irgendwann und irgendwo einmal der
„große Sprung" zum internationalen
Star gelingen wird.
„Es ist heute schwer für einen
Artisten, die 52 Arbeitswochen für
die Arbeitslosenunterstützung zu¬
sammenzubringen, geschweige denn
die 180 Beitragsmonate für die
Altersversicherung“, klagt uns ein
älterer Zauberkünstler in der „Arti¬
stenbörse“, einem Kaffeehaus auf
der Praterstraße in Wien, in dem sich
jeden Dienstag Artisten und Manager
aus aller Herren Länder treffen,
um die so selten gewordenen Ver¬
träge abzuschließen. „Man wird den
Artisten auch die Eintageengagements
und die im Ausland verbrachte Ar¬
beitszeit in die Beitragsmonate ein¬
rechnen müssen, sonst kommen un¬
sere oft schwer arbeitenden Kollegen
niemals in den Genuß der für jeden
Arbeiter und Angestellten gesetzlich
gesicherten Altersrente", bestätigt der
Sekretär der Sektion Artisten in der
Gewerkschaft der Angestellten der
freien Berufe die berechtigten Klagen
der derzeit ungefähr 1700 österreichi¬
schen Artisten.
Und die Aussichten im Artisten¬
beruf? Nur wirklich talentierte Men-
30.000 Zuschauer freuen sich, weil alles so elegant und „spielend“ gemacht
wird. Es dauert oft Jahre, bis die Nummer „sitzt“.