t Mehr Lehrplätze ^ du 1 d
Freudestrahlend und stolz zeigt
der Hauptschüler Otto M. seinem
Vater die Schularbeitshefte. Rech¬
nen, Physik, Geometrie — lauter
„Sehr gut", aber auch in den ande¬
ren Fächern hat sich Otto M. be¬
währt. Er wird ein schönes Schul¬
entlassungszeugnis bekommen.
Einige Wochen noch, dann ist es
so weit. Schluß mit dem In-die-
sierenden Betrieb, lernen die spe¬
ziellen Brzeugungsmethoden ken¬
nen und gewöhnen sich an das
notwendige produktive Arbeits¬
tempo.
„Ideal sind die Lehrwerkstätten
schon", sagt uns ein Betriebsrat
der verstaatlichten VOEST in Linz,
die mustergültige Lehrwerkstätten
und ein eigenes Lehrlingsheim be-
Das letzte Schuljahr. Noch ist das Leben ohne Sorgen und Probleme.
Schule-Gehen, zwei Monate Ferien
und dann in die Lehre. Ottos
Wunschtraum, Automechaniker
zu werden, steht endlich vor der
Erfüllung.
Ottos Vater ist weniger optimi¬
stisch. Vergeblich bemüht er sich
seit Monaten, irgendwo eine Lehr¬
stelle aufzutreiben, überall die
gleiche Antwort in den kleinen
und mittleren Autoreparaturwerk¬
stätten: „An Lehrbuam? Na, da hat
man zuviel Scherereien." Herr M.
weiß bereits, daß er den Wunsch
seines Sohnes nicht erfüllen kön¬
nen wird. Vielleicht wird er ihn
irgendwo als Laufburschen unter¬
bringen oder in eine Handels¬
schule gehen lassen; nur nicht
herumlungern soll der Bub . . .
Der Otto wird nun einen Beruf
ergreifen müssen, der ihm keine
Freude bereitet, oder er wird ein
Hilfsarbeiter bleiben. Warum?
Weil man in zehntausenden klei¬
nen Betrieben keine „Scherereien*'
haben will mit den Lehrbuben,
deutlicher gesagt, weil man das
Jugendschutzgesetz boykottieren
will, ohne zu bedenken, daß die
Zeit der früheren patriarchali¬
schen Lehrverhältnisse längst vor¬
bei ist.
Es bleibt nur noch eine Frage an
die Besitzer der Kleinbetriebe
offen. Von woher werden sie eines
Tages die Facharbeiter und Spe¬
zialisten für ihre Werkstätten
nehmen, wenn sie selbst nicht ge¬
willt sind, welche anzulernen?
*
mindestens dasselbe Einstellungs¬
verhältnis verlangen.
1953 werden 124.200 junge Men¬
schen aus der Schule entlassen,
und 1954 wird sich diese Zahl so¬
gar auf 131.300 erhöhen. Heraus
mit dem Kopf aus dem Sand! Die
Jugend braucht Lehr- und Arbeits¬
plätze. Die Lösung dieses Problems
verträgt keine Verzögerung mehr.
„Also ein Uhrmacher willst du
werden?" sagt der freundliche
Beamte in der Berufsberatungs¬
stelle auf dem Esteplatz in Wien
zu dem etwas blassen, hochauf¬
geschossenen jungen Mann, der
ihm — als fühle er schon, daß die¬
ser erste Schritt ins Leben mit
einer Enttäuschung enden werde
— zögernd das letzte Schulzeugnis
zeigt.
Abgesehen davon, daß dieser
Beruf genau so wie der des Elek¬
trikers und des Mechanikers weit
überfragt ist, bringt der junge
Mann mit den dicken Brillen¬
gläsern fast keine Voraussetzun¬
gen für den Uhrmacherberuf mit.
Mit viel Geduld und psychologi¬
schem Einfühlungsvermögen ge¬
lingt es dem Berufsberater, das
Interesse des bekümmert drein-
Wir besuchen die Lehrwerkstät¬
ten einiger österreichischer Gro߬
betriebe. Das ist die ideale Form
für die berufliche Ausbildung der
jungen Menschen. Nach zweijäh¬
riger sorgsamer und" vielseitiger
Schulung in den Lehrwerkstätten
kommen die Lehrlinge in den pul-
Die erste Enttäuschung, Das Arbeitsamt hat zu wenig Lehrplätze zu vergeben.
sitzen, „aber sie sind nur ein Trop¬
fen auf einen heißen Stein. Es gibt
Hunderte von Großbetrieben in
Österreich, die keinen einzigen
Lehrling beschäftigen. Diese Be¬
triebe müssen verpflichtet werden,
in einem kollektivvertraglich fest¬
gelegten Verhältnis Lehrlinge ein¬
zustellen. Mit einem Schlag hätten
wir dann zehntausend bis fünf¬
zehntausend neue Lehrstellen."
Unser Linzer Kollege hat voll¬
kommen recht. Außerdem müßten
aber auch alle Betriebsräte darauf
achten, daß im eigenen Betrieb
mehr Lehrlinge und Jugendliche
eingestellt werden und daß die in
manchen Berufen bestehenden
Lehrlingsskalen auch voll aus¬
genützt werden. Wenn man zum
Beispiel von einem Meister mit
zehn Gesellen voraussetzt, daß er
einen Lehrling beschäftigt, so
kann man von einem Großbetrieb
blickenden Jünglings auf einen
anderen, seinen körperlichen und
geistigen Fähigkeiten entsprechen¬
den Beruf zu lenken.
„Jetzt müßte man aber auch
gleich eine Lehrstelle für ihn ha¬
ben", sagt der Vater des Jungen
später zu uns. „Ohne die notwen¬
digen Lehrplätze wird jede Berufs¬
beratung illusorisch."
Jede Woche Arbeitslosigkeit
bedeutet für die jungen Burschen
und Mädel eine schwere seelische
Belastung. Denn ihre Zukunftshoff¬
nungen und die Arbeitsfreude wei¬
chen allmählich einer zermürben¬
den Resignation, einer gefährlichen
Hilf-dir-selbst-Stimmung und dem
Hang zum Faulenzen.
*
Was wird nun geschehen, um
den Schulentlassenen Lehr- und
Arbeitsplätze zu verschaffen?
Am 4. Mai 1953 hat zum ersten¬
mal unter dem Vorsitz von Sozial¬
minister Maisei das Minister¬
komitee getagt, um sich mit Ma߬
nahmen zur Bekämpfung der Ju¬
gendarbeitslosigkeit zu beschäfti¬
gen. Die Vorschläge des Gewerk¬
schaftsbundes — neue und erwei¬
terte Lehrwerkstätten, ein moder¬
nes Berufsausbildungsgesetz im
Gewerbe, Vergrößerung der Ak¬
tion „Jugend am Werk" — und
auch die Vorschläge der Unterneh¬
mer und der verschidHV!! p n
Jugendverbände standen zur De¬
batte. Den Mittelpunkt der Diskus-““
sion aber bildeten ein Lehrlingsein¬
stellungsgesetz und die Einführung
eines neunten Schuljahres. Noch
konnten keine befriedigenden Re¬
sultate erzielt werden. Eines steht
allerdings jetzt schon fest: Der
Gewerkschaftsbund hat schon vor
langem auf das Problem hinge¬
wiesen und konkrete Maßnahmen
vorgeschlagen. Es werden dort,
wo es an gutem Willen fehlt, letz¬
ten Endes doch Gesetze eingreifen
müssen.
Wie dem auch immer sei — die
124.200 Schulentlassenen des Jah¬
res 1953 sehen den Entscheidun-—
gen erwartungsvoll entgegen. Für
sie ist jeder Tag kostbar!
Was nützt das schöne Schulzeugnis? Sein Wunsch, Automechaniker zu
werden, kann leider nicht erfüllt werden.
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