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Bei dem Wort Kärnten erwachen
in uns un willkürlich Erinnerungen
an sorglos verlebte Urlaubstage
inmitten kristallklarer Seen und
abendrotumglühter Berggipfel.
Vielleicht denkt man, wenn von
Kärnten die Rede ist, auch an ge-
schmalzene Hotelrechnungen und
karawankenhohe Pensionspreise,
die unseren kühnen Urlaubsplänen
jedesmal einen gehörigen Dämpfer
aufsetzen. Wie dem auch sei. In
unseren Augen ist das liebliche
Kärnten ein gesegnetes, devisen-
,,toten Saison" beschäftigt werden.
Und das ist in Kärnten ein noch
ungelöstets Problem.
Es weiden immer mehr
Am 31. Oktober 1951 waren in
ganz Österreich 4448 Bauarbeiter
arbeitslos.' Anfang Mai 1953 —
also bereits in der Bausaison —
waren es in Kärnten allein 4500.
Das Baugewerbe, das Herzstück
der Kärntner Beschäftigungspoli¬
tik, brauchte, wie überall in Öster¬
reich, neue Impulse.
Von weither fahren die Arbeitslosen mit ihren Rädern
in die Stadt, um beim Arbeitsamt ihre Unterstützung
zu empfangen. In langen Reihen stehen die Räder in
den Fahrradständern, genau so, wie sie in den Fabriken
oder Baustellen stehen könnten, aber heule gehören sie
nicht Schaffenden, sondern widerwillig Feiernden
Und er hat damit so wie vor sechs
Monaten auf den Dachfirsten des
im November 1952 fertiggestellten
kalorischen Kraftwerkes im La¬
vanttal auch in der Frage der Ar¬
beitsbeschaffung den Nagel auf
den Kopf getroffen: denn Bauen
heißt, die Arbeitslosigkeit be¬
kämpfen.
Durchschnittlich 1500 Menschen
waren damals in Sankt Andrä
zweieinhalb Jahre hindurch be¬
schäftigt. Und diese 1500 Bau¬
arbeiter hat bisher keine neue
oder andere Baustelle aufgesogen.
Sie gehen stempeln, obwohl sich
die Sonne längst in Kärntens herr¬
lichen Seen spiegelt, und obwohl
das Land mehr Wohnhäuser, Schu¬
len und Kraftwerke denn je be¬
nötigt.
Auch der Bau der Möll-Über-
leitung in Heiligenbtut geht sei¬
nem Ende entgegen. Im vorigen
Jahr waren dort noch 1200 Arbei¬
ter beschäftigt. Heuer sind es nur
mehr 500. Besonders viele Arbei¬
ter der Holzbranche sind jetzt
arbeitslos, da Kärntens Holzexport
— er beträgt drei Fünftel des ge¬
samten österreichischen Holz¬
exports — heuer stark zurückge¬
gangen ist. Das Antimonbergwerk
in Rabant ist wegen Absatzschwie¬
rigkeiten stillgelegt. Das Glimmer¬
bergwerk in Sankt Andrä mußte
den Betrieb infolge erdrückender
ausländischer Konkurrenz einstel¬
len. Die Bleiberger Bergwerks¬
union in Arnoldstein baut vorüber-
„So einen Bau, wie in Sankt
Andrä braucherten wir wieder",
sagt uns der Zimmermann Karl F.
auf dem Arbeitsamt in Klagenfurt.
Schon vor mehreren Monaten mulite die vielfach vom Auslandsmarkt ab¬
hängige Zündwarenfabrik ihre Produktion einstellen. In letzter Zeit machte
sich die ausländische Konkurrenz entscheidend bemerkbar. Wann werden die
Maschinen wieder anlaufen? Täglich kommen die Arbeiter, aber immer noch
hängt die Tafel mit der Aufschrift „Arbeitskräfte werden zur Zeit keine
benötigt“ an dem Tor
bringendes Fremdenverkehrsland
mit dem internationalen Treffpunkt
der „vornehmen Leute" in Velden
am Wörthersee.
Das andere
Kärnten
Hinter dieser,
nur zwei Som¬
mermonate dau¬
ernden und üppi¬
gen Wohlstand
vortäuschenden
Fremdenver¬
kehrssaison aber
liegt das andere
Kärnten. Das
Kärnten der Ar¬
beitslosigkeit, der
stillgelegten Be¬
triebe und der
eingeschränkten
Bautätigkeit, die
allein gegenüber
dem Vorjahr um
fast zweieinhalb¬
tausend mehr ar¬
beitslose Bauar¬
beiter verschul¬
det hat. Kärnten
ist derzeit neben
dem .Burgenland und Niederöster¬
reich ein Notstandsgebiet, und
diese Tatsache schaffen kein
Blumenkorso am Wörthersee und
keine noch so hohe Bakkaratpartie
im Spielkasino in Velden aus der
Welt.
Kärntens Fremdenverkehrssaison
allein bringt keine fühlbare Er¬
leichterung der Arbeitslosigkeit
mit sich. Denn die im Hotel- und
Gastgewerbe für kurze Zeit not¬
wendigen zusätzlichen Arbeits¬
kräfte wollen auch in der langen
Seite 4 Nr. 192 SOLIDARITÄT
Zwei Schneiderinnen — arbeitslos!
Nach dem Empfang der Unterstützung
prüfen sie nochmals die Eintragungen
auf der Arbeitslosenkarte. Wann wer¬
den sie endlich nicht mehr stempeln
gehen müssen?
gehend 300 Arbeiter ab, da sie
weniger Blei verkaufen kann, als
in dem ergiebigen Bergwerk ge¬
fördert wird. Und hätte der öster¬
reichische Gewerkschäftsbund der
Drau-Krattwerke-A. G. nicht durch
die Arbeiterbank einen Kredit von
10 Millionen Schilling verschafft,
wäre die Baustelle in Reisseck
auch noch auf Monate hindurch
ein ödes Gelände geworden.
An allen Ecken und Enden sind
in Kärnten Löcher aufgerissen, aus
denen sich ein Strom von über
11.000 Arbeitslosen ergießt. Und
trotzdem wurden heuer die Bun¬
deszuschüsse für Bauvorhaben in
diesem schon so oft umstrittenen
Grenzland eingestellt; damit ist
leider auch die Dotierung des Lan¬
des Kärnten im Betrag von 10 Mil¬
lionen Schilling gebunden. Kärn¬
tens Arbeitslosigkeit und die der
anderen Notstandsgebiete muß
durch erhöhte Bautätigkeit ra¬
schest eingedämmt werden. Wer
glaubt, daß dieses Problem allein
durch lange theoretische Erwä¬
gungen gelöst werden kann, möge
sich einmal nach Eisenstadt, Sankt
Pölten oder Klagenfurt begeben
und mit arbeitlosen Bauarbeitern
sprechen.
Was Arbeitslose erzählen
Wir haben mit vielen Arbeits¬
losen in den Notstandsgebieten
diskutiert, zuletzt in den Städten
und Dörfern Kärntens: „Wenn
man stempeln gehen muß, bleibt
einem viel Zeit zum Nachdenken",
sagt ein arbeitsloser Tischler¬
gehilfe zu uns. Und er hat uns
überzeugt, daß er sehr klar und
logisch zu denken versteht.
„Die Privatindustrie hat nach
dem ersten und zweiten Weltkrieg
immer eine Angst gehabt, daß
Kärnten zu Jugoslawien kommt",
sagt er, „bei uns eine Fabrik zu
bauen oder einen Betrieb zu er¬
öffnen, war daher für die Unter¬
nehmer nicht sicher genug. Die
sogenannte Privatinitiative will
aber mit ihrem Kapital immer nur
ein fettes Geschäft machen. Wnt-
schaftspolitik für die Allgemein¬
heit interessiert sie nicht. Wenn
die verstaatlichten Betriebe genau
so kurzsichtig gehandelt hätten,,
wäre die Arbeitslosigkeit in Kärn¬
ten seit Jahren schon so arg wie
h&^.er!" Dieser Feststellung un¬
seres Kollegen in Kärnten ist
nichts hinzuzufügen.
Der nach sechsmonatiger Ar¬
beitslosigkeit ‘?‘mrenHfSWmsF
einem Kärntner Nobelbad beschäf¬
tigte Kellner Josef P. berührt wie¬
der ein anderes Problem: „In un¬
serem Gewerbe", klagt er, „gibt
es zu viele Ungelernte. Sie kom¬
men fast alle aus der Landwirt¬
schaft iind betrachten das Saison¬
geschäft als zusätzlichen Ver¬
dienst." Wie recht er hat, beweist
die Tatsache, daß in ganz Kärnten
in der Hotel- und Gastgewerbe¬
branche nur 22 Lehrlinge beschäf¬
tigt sind. •
Diese Schilderung der Kärntner
Arbeitslosigkeit wäre unvollstän¬
dig, wollte man jenes leuchtende
Beispiel der Solidarität verschwei¬
gen, das wir im Bleiberger Berg¬
werk in Arnoldstein erlebt haben.
Seit Monaten hatte dort die ganze
Bcdegschaft für einen groß ange¬
legten Betriebsausflug gespart.
160 Schilling waren nun schon für
jeden einzelnen beisammen. Da
kam der große Abbau. 300 Arbei¬
ter wurden wegen Absatzschwie¬
rigkeiten gekündigt. Und der Be¬
triebsausflug? Die gesamte, nicht-
gekündigte Belegschaft hat zu¬
gunsten der Entlassenen auf das
mühsam gesparte Geld verzichtet.
Das ist der einzige Lichtblick in
diesem nicht sehr ermutigenden
Bericht. f. n.
Eigentümei und Herausgeber Ostenelchischei
Gewerkschäftsbund. Verleger: Verlag des
Österreichischen Gewerkschaftsbundes. Chef¬
redakteur: Fritz Klenner. Verantwortlicher
Redakteur: Karl Franta. Für die Bildbeilage
verantwortlich: Fritz Konir. Gestaltung der
Bildbeilage: August Makart. Alle Wien. I.,
Hohenstaufengasse 10—12 Druck; Waldheira-
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