Sengend brennt die Mittagssonne aut die weiten Gärtenfiächen der Simmeringer Heide in Wien.
Auf den Gemüsefeldern verrichten Männer und Frauen mit schweißtriefenden Stirnen ihr schweres
Tagewerk. Salaternte! Aber es ist eine ganz seltsame Ernte, die wir da zu sehen bekommen. Die
schon hoch ausgewachsenen Salathäupteln werden Stück für Stück mit flinken Händen abge-
schnitten, in große Schubkarren geworfen und auf einen am Rande des Feldes gelegenen Mist¬
haufen geführt.
Ja, Sie haben schon ganz richtig gelesen, liebe Kolleginnen und Kollegen ... auf einen Mist¬
haufen geführt und zu den dort schon meterhoch auigehäuften, halbverfaulten anderen Salat¬
häupteln geworfen. Stundenlang dauert diese sinnlose Arbeit; die Frucht schwerer, fleißiger
Gartenarbeit wandert Fuhre um Fuhre auf den Düngerhaufen. Drüben bei den großen Kohlrüben¬
feldern geschieht dasselbe. Die zarten, hellgrünen Rüben, die auf den Märkten 40 bis 50 Groschen
das Stück kosten, verfaulen auf den Misthaufen der Simmeringer Heide und der riesigen Gemüse¬
gärten von Kagran zusammen mit hunderttausenden Salathäupteln, während in den Töpfen
und Schüsseln vieler Familien vitaminreiches Gemüse und erfrischender Salat zu wenig werden.
n
Gewinne ohne Grenzen
Auf dem Lagerplatz der Gemüse- und Obstverwertungs¬
gesellschaft in Simmering herrscht ein reger Betrieb. Hoch-
beiadene Pferdefuhrwerke und Lastautos bringen von den
Gärtnereien das frischgeerntete Gemüse zum Verkauf an
die Großhändler. Und hier kann man nun die widerwär¬
tigste Auswirkung eines Kartellsystems erleben, das um
des Profites willen nicht davor zurückscheut, wertvolle
Lebensmittel der Vernichtung preiszugeben. „Der Salat wird
heute gar nicht .gedruckt' ", ruft ein Gärtner einem mit
einer riesigen Fuhre Salat ankommenden Kollegen zu.
Nicht, „gedruckt", das heißt, die Großhändler verweigern
mit der Begründung, der Markt ist „gesättigt", die Über¬
nahme des frischen, Vollreifen Salates.
Würden sich diese Händler, von denen kein einziger
wahrs’cheinlich jemals eine Pflanze gesetzt hat, oder seinen
Rücken in aufreibender Feldarbeit krümmen mußte, mit
einem angemessenen Handelsgewinn begnügen, dann würde
das Häuptel Salat, das sie den Gärtnern um 10 Groschen
abnehmen, beim Grünzeughändler höchstens 20 Groschen
kosten. Dann würde der Markt aber auch nicht „gesättigt"
sein, denn die Hausfrauen könnten um einen Schilling nicht
zwei, sondern fünf Häuptel Salat kaufen.
„Als eine Kohlrübe am Markt 60 Groschen gekostet hat,
habn uns die Großhändler 10 Groschen für das Stück ge¬
geben, und für ein großes Büschel Dillenkraut auch nur
10 Groschen. Dasselbe Büschel haben sie dann am Nasch¬
markt an die Detaillisten um zwei Schilling verkauft. Das
berichtet uns der Gärtnersohn Albert L., und die anderen
Gärtnereiarbeiter, die von allen Seiten herbeikommen,
um sich bei uns über den Preisdruck der Gemüsegroß-
händier zu beklagen, bestätigen seine Angaben.
Um die hohen Marktpreise zu halten, kaufen die
Großhändler das Häuptel Salat um nicht einmal
8 Groschen. Die ganze Salaternte wandert auf den
Düngerhaufen. Die schwere Arbeit vieler Wochen
war umsonst. Viele Gärtner warten oft mit ihren
Salatfuhren vergeblich auf ein Angebot. Der Salat
wird nicht „gedruckt", das heißt, die Großhändler
verweigern die Übernahme der Ware, um den Preis
hochzuhallen.
Vernichtung im gtoßen
Am Naschmarkt in Wien sind die
Salathäupteln und Kohlrüben zu
Bergen aufgeschlichtet und warten
auf Käufer. Im Lagerhof der Gemüse-
und Obstverwertungsgesellschaft auf
der Simmeringer Heide wird der nicht¬
verkäufliche Salat aus großen Last¬
kraftwagen abgeladen, auf einen
Strohhaufen geworfen und mit dem
Stroh zu Dünger verarbeitet. Und die
Ursache dieser sinnlosen aufreizenden
Handlungsweise . . .? Einige Großhänd¬
ler haben kartellartige Vereinbarun¬
gen getroffen, auf Grund deren sie
unter einer Handelsspanne von 400
bis 500 Prozent nicht „arbeiten“.
Auf den Lagerplätzen der Gemüse- und Obstverweitungsgesellschaft auf
der Simmeringer Heide werden hunderttausende Häuptel Salat abgeladen
und zu Dünger verarbeitet. Handelsspannen von 120 bis 150 Prozent sind
den Großhändlern zu wenig.
Genau so wie man ihre Praktiken
mit den Kopplungsverkäufen kennt,
bei denen sie den kleinen Gemüse¬
händlern schwer verkäufliche Bana¬
nen und Dörrpflaumen aufzwingen,
genau so weiß man auch, worauf sich
die Herren heuer bei der Preisgestal¬
tung des Salates ausreden.
ln Oberösterreich, Salzburg und
Steiermark wurde heuer mehr Salat
geerntet als bisher. Diese Länder
kommen als Entlastung für den Wie¬
ner Markt nicht mehr in Frage. Auch
haben die burgenländischen Salat¬
bauern heuer ihre Ware eine Woche
länger nach Wien geliefert. Wien hat
also ein Überangebot an Salat. Wer
nun annimmt, daß der Salat dadurch
logischerweise billiger werden müßte,
der rechnet nicht mit der Profitgier
mancher Gemüsegroßhändler. Ihre
Funktion wäre es, die Preise der ge¬
gebenen Marktlage nun richtig, das
heißt, zugunsten der Konsumenten, zu
regulieren. Sie denken aber gar nicht
daran. Ihr Zwischenhandel bringt auch
funktionslos Hunderte von Prozente
Gewinn. Salat und Gemüse verfaulen
zu lassen, ist außerdem viel einfacher.
Im Punkt 9 und 10 des wirtschaft¬
lichen Forderungsprogramms, mit dem
sich der Bundesvorstand des österrei¬
chischen Gewerkschaftsbundes am
3. April 1952 an die Regierung wandte,
heißt es unter anderem: „Die Lebens¬
haltung der Arbeiter und Angestellten
verträgt keine neuen Belastungen. Um
die erzielten Erfolge der Preissenkun-
Seite 4 Nr. 194 SOLIDARITÄT,
Bild oben: Bei normalen Handels¬
spannen hätte das Häuptel Salat an
dem Tag, da diese Frau am Wiener
Naschmarkt ihre Einkäufe besorgte,
20 Groschen kosten müssen. Es kostete
aber 50 und 60 Groschen.
Bild unten: Der Markt ist „gesättigt“,
sagen die Großhändler. Kommentar
überflüssig.
gen sicherzustellen gnd weitere Er¬
folge zu erreichen, fordert der Ge¬
werkschaftsbund die gesetzliche Ein¬
führung amtlicher Preisbegutachtungs¬
kommissionen zur Kontrolle der Preise
und zur Bekämpfung der Preisdiktate
der Monopole und Kartelle. Ferner for¬
dert der Gewerkschaftsbund mit allem
Nachdruck Schutzbestimmungen für
wettbewerbswillige Händler und Pro¬
duzenten,“
Unter dem Druck der empörten
Öffentlichkeit konnten zwar heuer
beim Gemüseverkauf weitere Preis-
e>;zesse verhindert werden, aber es
müssen gesetzliche Maßnahmen ge¬
troffen werden, um in Zukunft die
Vernichtung von Lebensmitteln aus
Profitgründen auf alle Fälle unmög¬
lich zu machen.
Die Preisgestaltung des Obst- und
Gemüsegroßhandels ist so faul, wie
der weggeworfene Salat auf den Mist¬
haufen der Simmeringer Heide. Die
Gesetzgebung schütze endlich die "
Konsumentenschaft vor diesen Preis¬
diktatoren. , f. n.
Eigentümer und Herausgeber: österreichischer
Gewerkschaftsbund. Verleger: Verlag des
österreichischen Gewerkschaftsbundes. Chef¬
redakteur: Fritz Kiennet Verantwortlicher
Redakteur: Karl Franta. Für die Bildbeilage
verantwortlich: Fritz Konir. Gestaltung der
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