EIN FEST DER ARBEIT
Streiflichter aus dem großen Gewerkschaftstreffen
„Meine Frau und ich waren auch
beim Gewerkschaftstreffen. Wir vom
Lande haben so etwas noch nicht gc-
sehn. Auch im Stadion waren wir
.das erstemal. Der historische Festzug
war für uns sehr lehrreich.. Und dann
abends im Stadion, diese schöne und
imposante Feier wird uns immer im
Gedächtnis bleiben."
*
Kollege Heinrich K. musiziert in
«einer Freizeit bei einer Salzburger
Betriebskapelle. Er war erstaunt über
die große Konkurrenz, die seine
Kapelle beim Gewerkschaftstreffen
erwartete. 46 Blasmusikkapellen sind
zum klingenden Wettbewerb ange¬
treten. Es war schwer für die Jury,
die beste herauszufinden. Für die fast
hunderttausend Menschen, die ent¬
lang der Festzugsstraße Spalier ge¬
standen sind, war es leichter, sie hat
das Spiel jeder einzelnen Kapelle
begeistert. Mil dem oft stürmischen
Beifall haben die Kollegen im Spalier
auch die körperlichen Strapazen an¬
erkannt, die jede Musikkapelle auf
der über sieben Kilometer langen
Festzugsstraße auszuhalten hatte.
Kollege Heinrich K. ist nicht ent¬
täuscht, daß seine Kapelle nicht den
Maulhalten und roboten.* Und wäh¬
rend er uns von seiner oft vierzehn¬
stündigen Arbeitszeit und von seiner
freudlosen Jugend erzählt, rattern
1700 Motorräder über die Wiener
Ringstraße, zieht — jeder eine Epoche
des Aufstieges zeigend — Wagen um
Wagen des Festzuges an uns vor¬
über, weht ein Meer von Fahnen in
den strahlenden Spätsommertag, und
die fröhlichen Weisen der Musik¬
kapellen können manchmal das be¬
geisterte Händeklatschen tausender
festlich gekleideter Menschen kaum
übertönen.
Auf dem Rathausplatz aber grüßt
der erste Mann des Staate«, unser
Bundespräsident, die vorbeiziehenden
Arbeiter und Angestellten. Welch ein
Aufstieg in den 60 Jahren der Ge¬
werkschaftsbewegung! Mit gezogenem
Säbel haben damals berittene pickel¬
haubentragende Polizeibüttel jede
kleinste Arbeiterversammlung „auf¬
gelöst"! Und heute? Stolz marschieren
als Arbeiter unter Arbeitern —
Abordnungen unserer Exekutive in
den Reihen mit, und ihre Kollegen
verschaffen dem fünf Kilometer
langen Festzug freie Bahn.
Unser weißhaariger Kollege aus
Auf der Ehrentribüne am Wiener Rathausplatz sitzen tausende alte ver-
diente Gewerkschafter. Sie sehen beim Festzug im Zeilraffertempo ihr eigene.
Leben voruberziehen — den Aufstieg vom Lohnsklaven zum freien Arbeiter
Hund zum Gewerkschaftstreffen ge¬
kommen. Er hat voriges Jahr beim
Treffen in Leoben einem Wiener
Ehepaar Quartier gewährt und war
nun heuer bei dieser Familie zu Gast.
„Für mich sind die jährlichen Ge¬
werkschaftstreffen schon ein Teil
meines Urlaubs geworden", sagt er,
„und ich wurde noch nie enttäuscht.
Es ist ein schöner Brauch, den da der
Gewerkschaftsbund eingeführt hat.“
Wie es ihm in Wien gefallen hat?
„Wiener Tant" mitgegeben hat. Dann
macht er mit strahlender Miene einen
herzhaften Biß in die köstliche Mehl¬
speise und — schweigt. . Wir haben
uns verstanden, Peperl: Fein war's in
Wien, gelt!
*
Und da ist ein Brief vom Kollegen
Konrad B. aus Grünbach in der
Steiermark, mit einfachen Sätzen,
aber aus übervollem Herzen ge¬
schrieben.
WW Drei Stunden lang zieht der imposante Festzug über den Rathausplatz. Diesmal
kommt die Schaulust unserer Kolleginnen und Kollegen voll auf ihre Rechnung.
sä»
Bundesprasident die Hülle von dem Denkmal löst.
Seile 4 Nr. 199 SOLIDARITÄT
ersten Preis gewonnen hat: „Die Be¬
triebskapellen gehören mit zur Ar¬
beiterbildung und die Wettbewerbe
bei den Gewerkschaftstreffen sollen
ein Ansporn sein, immer bessere
Leistungen zu erzielen“, sagt er,
„wenn nicht heuer, dann vielleicht
nächstes Jahr, wir werden jedenfalls
dazuschauen. Es ist ja nicht das letzte
Gewerkschaftstreffen."
Kollege K. hat recht. Nicht die
Spitzenleistung und nidit ein erster
Preis sind entscheidend. Jeder Atbeiter
und Angestellte, der in seiner Frei¬
zeit lernt oder sich künstlerisch be¬
tätigt, leistet ein gutes Stück Bildungs¬
arbeit, und das ist das Maßgebende.
*
Unsere alten Kolleginnen und Kol¬
legen haben es sich nicht nehmen
lassen, beim Gewerkschaftstreffen
überall dabei zu sein. Sie haben
lange Bahnfahrten nicht gescheut und
sind sogar im Festzug stramm mit¬
marschiert: „Wir wissen warum", sagt
ein weißhaariger Steiermärker im Spa¬
lier mit dem goldenen ÖGB-Abzeichen
im Knopfloch, „in unserer Jugend
wär n wir froh g'wesen, wenn wir
einmal auf der Straßen- demonstrieren
hätten dürfen. Aber damals hat's für
die Arbeiter nur eine Parole geb'n:
der Steiermark ist plötzlich schweig¬
sam geworden. Er schaut und schaut;
im Zeitraffertempo sieht er hier sein
eigenes, Leben vorüberziehen, den
Aufstieg vom ausgebeuteten Tag¬
löhner zum freien, gleichberechtigten
Arbeiter.
*
Kleine Begebenheiten aus dem
großen Treffen, bunte Steinchen aus
dem prächtigen Mosaik — 3. Gesamt¬
österreichisches Gewerkschaftstreffen.
Da ist der schwerinvalide Kollene
aus Schwechat, der mit seinem Roll-
fahrstuhl am Tage des Festzuges über
40 Kilometer zurückgelegt hat, um
überall dabei zu sein, und da ist die
Kollegin R., die ihren alten, blinden
Mann zur Eröffnungsfeier und zu an¬
derer. großen Veranstaltungen führte,
weil er das miterleben wollte, für das
er vor Jahrzehnten, noch als, Sehen¬
der, gekämpft hat
3. Gesamtösterreichisches Gewerk¬
schaftstreffen — ein Meilenstein in
der Geschichte der Gewerkschafts¬
bewegung. Noch klingen uns die
Lieder der Jugend in den Ohren, einer
Jugend, deren heiße Herzen den Ge¬
danken der Gewerkschaft und der
Solidarität weitertragen werden, derr
Ziele entgegen. f, n.
Josef B. und seine Gattin sind be¬
geistert. „Ich hab1 das. erstemal in
meinem Leben eine Oper gesehen”,
sagt Frau B., „es war wundervoll,
und erst der Festzug und das Feuer¬
werk und, und...." Wessen Herz
voll ist, dessen Mund geht über. Nur
der kleine Peperl entlockt mir erst
zwei rot-weiß-rote Fähnchen, bevor
er mir «eine „Wiener Eindrücke"
schildert. Er macht es kurz. Er greift
in die Rocktasche und zieht eine
mächtige Buchtel hervor, die ihm die
Wien war sieben Tage hindurch
Mittelpunkt und Ziel zehntausender
Kolleginnen und Kollegen aus allen
Bundesländern. Sie haben Österreichs
Metropole als eine Stadt der Arbeit,
aber auch als eine Stadt der Kultur
und des Frohsinns kennengelernt.
Hören wir, was unsere Kollegen vom
Gewerkschaftstreffen und von Wien
zu erzählen wissen.
*
Kollege Josef B., ein Tischler aus
Leoben, ist mit Kind und Kegel und