Wietlur, wie alljährlich, gedenken wir der Opfer der blutigen Tragödie des
Februar 1934. Hs sind nun 20 Jahre seit jenen traurigen Tagen her, in denen
sich Österreicher mit der Waffe in der Hand gegenüberstanden. In Italien und
Deutschland war äamals bereits der Faschismus an der Macht. Die Arbeiter¬
schaft Österreichs hal seit jeher Demokratie und Freiheit als das kostbarste
Gut betrachtet, für das sich auch der Einsatz von Blut und Leben lohnt.
In jenen Tagen sahen die Arbeiter und Angestellten unseres Landes die
Demokratie und Freiheit bedroht, und sie erhoben sich zu ihrem Schutze. Ihr
Einsatz konnte das Schicksal Österreichs nicht mehr wenden, das schließlich
über die nazistisctie Invasion in die Katastrophe des Krieges führte. Aber
das Heldentum der Freiheitskämpfer war der Welt Mahnung und Signal.
Angesichts der nach fast neun Jahren noch immer währenden Besetzung Öster¬
reichs kann nicht oft genug betont werden, daß die österreichischen Arbeiter
sich als erste gegen die faschistische Bedrohung erhoben haben.
Wir erinnern an die Febfuartage nicht, um alte Wunden aufzureißei». Wir
wollen aus den Erfahrungen der Vergangenheit lernen. Ein Gemeinwesen
kann sich nur dann in Frieden entwickeln und ein sicherer Hort seiner Bürger
sein, wenn die verschiedenen politischen Richtungen in demokratischem Geiste
Zusammenarbeiten. So richtig es ist, daß Interessengegensätze in Wirtschaft
und Staat bestehen und ausgefochten werden müssen, so falsch ist es, das
Heilmittel in der Gewalt zu sehen. Gewalt zerstört, Geist und Idee, Tatsachen
und Argumente sind wirksamere Kräfte.
Die zwei Jahrzehnte seit 1934 haben gezeigt, daß soziale Ansprüche nicht
mehr zurückgeschraubt werden können. Nicht durch Brutalität, sondern nur
mit gegenseitiger Verständnisbereitschaft klärt man die Gegensätze und ebnet
den Weg für eine Iriedliche Entwicklung.
Wir werden
dem Vermächtnis der Toten
der Februartage 1934
am besten gerecht,
wenn wir gemeinsam im Geiste
der Verständnisbereitschaft
und des friedlichen sozialen
Fortschrittes
an einem freien
und glücklicheren Österreich
bauen
Präsident
Johann Böhm
zur 20. Wiederkehr
des Februar 1934
(Fortsetzung von Seite 2)
Rentenreform und Volkspension
Arbeiterpension gegenüber dem frühe¬
ren Zustand einen wesentlichen Fort¬
schritt bedeutet.
Pension{sten mit Nebenberuf
Es ist verständlich, daß arbeitende
Menschen nur dann freiwillig in den
wohlverdienten Ruhestand treten wer¬
den, wenn ihr Ruhegeld wenigstens in
einem halbwegs erträglichen Verhält¬
nis zu ihrem letzten Arbeitseinkom¬
men steht. Dies trifft heute für die
überwiegende Mehrzahl der Dienst¬
nehmer, die nur auf die Rente aus der
Sozialversicherung angewiesen sind,
nicht zu und bewirkt, daß tatsächlich
zehntausende Rentner, die bereits im
Bezug eines Altersruhegeldes oder
auch einer Invaliditätsrente stehen,
noch weiter ihren Beruf ausüben und
daß zehntausende Witwen gezwun¬
gen sind, eine Beschäftigung anzu¬
nehmen, weil sie von ihrer Witwen¬
rente einfach nicht leben können.
Diese Rentner nehmen dadurchNiel-
fach jüngeren, arbeitswilligen und ar¬
beitsfähigen Menschen den Arbeits¬
platz weg. Dazu kommt noch, daß
auch Bezieher von ausreichenden Pen¬
sionen es vorziehen, sich noch zu¬
sätzlich eine Arbeit zu suchen. Das
führt zu dem aufreizenden Zustand,
daß einige tausend Menschen neben
einem normalen Arbeitseinkommen
noch eine ausreichende Pension be¬
ziehen, während Hunderttausende, die
nicht mehr arbeiten können, mit einer
mehr als unzulänglichen Rente ihr
Dasein fristen müssen. Es kann dies
aber auch dazu führen,
daß solche Pensionisten unter Um¬
ständen bereit sein werden, mit
einem geringeren Arbeitsentgelt und
unter Verzicht auf sonstige Rechts¬
ansprüche, eine Arbeit anzunehmen,
weil sie ja durch ihre Pension ohne¬
hin in ihrer Existenz gesichert sind;
sie werden dadurch zu gefährlichen
Lohndrückern.
Diese Zustände bedürfen einer Revi¬
sion, um die man — trotz aller Wider¬
stände — einfach nicht herumkommen
kann.
In der Britten Gruppe sind die An¬
gehörigen der verschiedenen selbstän¬
digen Berufe, für die es bis vor kur¬
zem überhaupt noch kejperlei gesetz¬
liche Vorsorge für den Fall des Alters,
der Invalidität und des Todes gegeben
hat. Auch bei dieser Gruppe kann das
moralische Recht auf eine ausreichende
Altersversorgung und die soziale Not¬
wendigkeit hiezu nicht bestritten
werden.
Die „Volkspension*'
Für diese Gruppe wurde die Forde¬
rung nach Schaffung einer „Volkspen¬
sion“ erhoben. Die „Volkspension“
soll aber nicht an Stelle der Sozial¬
versicherung treten oder deren Lei¬
stungen nivellieren, sondern soll für
einen Personenkreis neu eingeführt
werden, der durch die bisherigen So¬
zialversicherungseinricht ungen nicht
erfaßt ist. Durch das Gesetz über die
Altersunterstützung der gewerblichen
Wirtschaft
wurde für einen kleineren Kreis von
kämmerumlagepflichtigen Gewerbe¬
treibenden die „Volkspension" prak¬
tisch bereits verwirklicht; aller¬
dings besteht auf diese Renten kein
unbedingter Rechtsanspruch.
Wenn man aber die darin vorgesehe-
jien Renten von S 550,— monatlich
(und S 750,—, sofern noch ein Ange¬
höriger zu versorgen. ist) mit den
Durchschnittsrenten aus der Sozial¬
versicherung vergleicht, für die be¬
reits jahrzehntelang Beiträge geleistet
werden mußten, so wird man zugeben
müssen, daß 'dies ein sehr schöner
Anfangserfolg war.
Wie sieht die Angleichung aps ?
Am aktuellsten und dringlichsten
ist, derzeit zweifellos die Neuregelung
der Sozialversicherungsrenten. Nach
den sehr konkreten Mitteilungen un¬
seres Sozialministers Karl Mai.sel,
im Finanz- und Budgetausschuß des
Parlaments, betrachtet es das Soziai-
ministerium derzeit als seine erste
und wichtigste Pflicht, das in Aus¬
arbeitung stehende „Allgemeine So¬
zialversicherungsgesetz“ den begut¬
achtenden Stellen so rasch wie mög¬
lich vorzufegen und nach Einlangen
der Gutachten ütter den Ministerrat in
das Parlament zu bringen. Die ersten
drei Teile sind bereits ausgeschickt.
Nach dem vom Hauptverband aus¬
gearbeiteten Expertenentwurf soll das
Ruhegeld im künftige,™ Sozialversiche¬
rungsgesetz bekanntlich nach einer
40 jährigen ununterbrochenen Ver¬
sicherungsdauer auf 72 Prozent der
Bemessungsgrundlage ansteigen; nach
45 Jahren würde es 79,5 Prozent be¬
tragen.
Als Bemessungsgrundlage soll der
Durchschnitt der Beitragsgrundlagen
der letzten iüni Jahre vor Eintritt
des Versicherungslailes oder —
wenn dies günstiger für den Ver¬
sicherten ist — der Zeit zwischen
dem 40. und 45. Lebensjahr gelten.
Die Beitragsgrundlage ist im allge¬
meinen mit dem lohnsteuerpflichtigen
Einkommen identisch, jedoch nach
oben begrenzt. Die derzeitige Höchst-
beitragsgrundlagp von S 1800,— soll
nun auf S 240ur— erhöht werden.
Diese Erhöhung ist sicher unzuläng¬
lich, weil dadurch für einen Teil von
Arbeitnehmern die Auswirkung der
neuen Regelung wieder unbefriedi¬
gend bleiben würde.
Die Lösung ist schwierig
Die wichtigste und dringlichsteFrage
aber ist nicht so sehr, wie die künfti¬
gen Renten gerege'lt werden sollen,
sondern was mit den heute schon ge¬
bührenden Renten geschehen soll, da
man sie doch nicht auf dem derzeiti¬
gen Stand belassen kann. Eine all¬
seitig befriedigende Lösung ist bei der
Beschränktheit der vorhandenen Mit¬
tel nicht leicht zu finden Es wird in
diesem Zusammenhang ernstlich zu
diskutieren sein, ob'man die Erhöhung
der unzulänglichen Renten nicht doch
aus den Mitteln der öffentlichen Für¬
sorge nehmen müßte,
da man der Sozialversicherung nicht
dauernd zumuten kann, Renten-
leistungen zu erbringen, für die nie¬
mals entsprechende Beiträge bezahit
worden.
Im Parlament haben sich Abgeord¬
nete aller Parteien zu einer Verbesse¬
rung der Sozialversicherungsrenten
bekannt; sie werden nach den Er¬
klärungen unseresSozialmirr,sters über
die rascheste Einbringung einer Vor¬
lage bald Gelegenheit haben, zu be¬
weisen, ob und wie weit es ihnen mit
ihrer Stellungnahme auch ernst ist.
SOLIDARITÄT Nr. 209 Seite 3