ihren Gewerkschaften gesetzlich
ein freies Entscheidungsrecht vor¬
enthält. Der Gewerkschaftsbund
hat wiederholt bewiesen — und
es ist auch wiederholt von her¬
vorragender Seite bestätigt wor¬
den —, daß er am wirtschaftlichen
und sozialen Wiederaufbau Öster¬
reichs entscheidenden Anteil hat.
Was also vielleicht 1930 den da¬
maligen Minderheitsgewerkschaften
als Schutz gegen Übergriffe der
Mehrheitsgewerkschaften zweck¬
mäßig erschienen sein mag, das
wäre heute nur eine beleidigende
Herausforderung, zumal es heute
weder Minderheits- noch Mehr¬
heitsgewerkschaften gibt, sondern
nur eine einzige, einheitliche und
überparteiliche Gewerkschaftsorga¬
nisation, nämlich den aus sechzehn
Gewerkschaften bestehenden öster¬
reichischen Gewerkschaftsbund.
Verschiedentlich wurde auch die
völlige Aufhebung des Antiterror¬
gesetzes gefordert. Mit Rücksicht
auf die Bedenken der christlichen
Gewerkschafter hat der Vorstand
des ÖGB beschlossen, nur die Be¬
seitigung der untragbaren Bestim¬
mung des Paragraph 2 zu fordern,
denn alles übrige an diesem Gesetz
stört niemanden.
Die österreichischen Gewerk¬
schaften haben nicht das Bedürfnis,
einen „Terror" einzuführen, sie wol¬
len nur eines: daß man sie selbst
nicht terrorisiert und schikaniert.
Seit dem Jahre 1930 hat sich
viel ereignet und es hat sich auch
viel geändert. Vor allem bahnt
sich eine neue Einstellung des
Staates gegenüber der Gewerk¬
schaftsbewegung an. Einst die
Verfolgten und Verfemten, sind
heute die Gewerkschafter die
berufenen Träger des Willens der
unselbständig Erwerbstätigen und
damit ein Faktor im staatlichen
Leben und im Wirtschaftsleben,
den es, im Interesse der Gesamt¬
heit, zu fördern und nicht zu
hemmen gilt!
Österreich hat zwei internatio¬
nale Übereinkommen ratifiziert, in
denen es sich ausdrücklich dazu
verpflichtet hat, das Koalitionsrecht
und das Recht auf Kollektivverträge
gegen Eingriffe der Verwaltungs¬
behörden zu schützen und darüber
hinaus die Gewerkschaften zu för¬
dern sowie alle Maßnahmen zu
unterlassen, die auf die Entwicklung
des Gewerkschaftswesens hemmend
einwirken können.
Eine solche Hemmung wird mit
der Novellierung des Paragraph 2
des Antiierrorgesetzes fallen. Da¬
mit wird endlich Österreich sich
eines G'esetzes nicht mehr schä¬
men müssen, das eine einseitige
Ausnahmebestimmung gegen seine
arbeitenden Menschen enthielt und
das im Widerspruch zu der tat¬
sächlichen Entwicklung stand.
Preisregelung unentbehrlich
Am 31. März 1954 faßte der Verfassungsgerichtshol eine Erkenntnis, mit
der er die gesamte Preisregelung — die gegenwärtig, von der breiteren
Öffentlichkeit unbeachtet, noch immer von größter Bedeutung für die öster¬
reichische Wirtschaft ist — aus den Angeln hob. Er erklärte den § 2 Absatz 1
bis 5 des Preisregelungsgesetzes 1950, der die Art der Preisbestimmung regelt,
für verfassungswidrig, und zwar mit der Begründung, daß die im § 2 Absatz 1
bis 5 des- Preisregelungsgesetzes erteilten Ermächtigungen den Inhalt der der
Verordnungsgewalt der Ministerien und Landeshauptleute überlassenen Rege¬
lung in keiner Weise näher umschrieben und daher verfassungsrechtlich als
bedenklich erscheint.
Um den gesetzgebenden Körper¬
schaften die Möglichkeit zu geben,
einen gesetzlosen Zustand zu ver¬
meiden, faßte der Verfassungsgerichts¬
hof den Beschluß, seine Erkenntnis
vom 31. März erst am 30. Juni 1954
in Wirksamkeit treten zu lassen.
Der Verfassungsgerichtshof brachte
mit diesem zweiten Beschluß zum
Ausdruck, daß die Preisregelung
und auch die Mietzinsregelung als
solche natürlich nicht verfassungs¬
widrig sei, sondern nur eine
gesetzliche Form finden müsse, die
der Bundesverfassung entspricht,
die die Verordnungsgewalt der Mini¬
sterien näher umschreibt, also nähere
Richtlinien für die Verordnungstätig¬
keit des Innenministeriums aufstellt.
Die Abgeordneten zum Nationalrat
P r o k s c h und h(tarchner haben
auch bereits den Entwurf eines Preis-
(Fortsetzung von Seite 1)
Sozialpolitik voran!
tute, als Selbstverwaltungskörper der
Arbeitnehmer und Unternehmer er¬
richtet werden.
Die Sorge um die lugend
Wenngleich auch im vergangenen
Jahr die zahllosen Bemühungen des
Gewerkschaftsbundes zur Unterbrin¬
gung der schulentlassenen Jugend
auf Arbeitsplätzen einen Teilerfolg
in der Verabschiedung des Jugend¬
einstellungsgesetzes gebracht haben,
sind damit die Probleme der Jugend¬
arbeitslosigkeit noch nicht gelöst. Das
Jugendeinstellungsgesetz hat zwar
unbestritten einen beachtlichen Teil
der Schulabgänger 1953 erfassen kön¬
nen, damit sind aber die Einstellung-s-
möglichkeiten im wesentlichen für die
kommenden zwei bis drei Jahre er¬
schöpft. Das^Tahr 19§4 ist fprincb—das.
Jahr, in dem der Stand der Schul
abgänger seine Spitze erreicht. Es
dürfen daher die weiteren Forderun¬
gen zur Bekämpfung der Jugend¬
arbeitslosigkeit nicht auf die lange
Bank geschoben werden.
Zu den Problemen der Jugend,
die sich auch allgemein volkswirt¬
schaftlich auswirken, gehört die
Frage der Berufsausbildung. Der
Österreichische Arbeiterkammertag
hat im Einvernehmen mit dem
Gewerkschaftsbund den Entwurf
eines Beruisausbildungsgesetzes der
Öffentlichkeit vorgelegt.
Nach diesem Entwurf soll den Ar¬
beitnehmern ein Mitspracherecht auch
in Lehrlingsfragen eingeräumt und
die Berufsausbildung auf moderne
Grundlagen gestellt werden.
Unsere Sozialversicherung
Nach 1945 fand die österreichische
Sozialversicherung neben vollkommen
leeren Kassen und mangelhaften Ver¬
sicherungsunterlagen ein wirresDurch-
einander von Vorschriften vor. Dieses
Durcheinander wurde noch vergrößert
durch eine Reihe von Sozialversiche¬
rungsgesetzen, die während der zwei¬
ten Republik verabschiedet werden
mußten. Im Interesse der Versicher¬
ten, damit diese ein klares Bild über
ihre Rechte und Pflichten gewinnen
können, ist daher die Neugestaltung
des Sozial versicherungsrechtas eine
unerläßliche Forderung.
Die gewerkschaftlichen Forderungen
sind aber nicht nur auf eine Zu¬
sammenfassung der bisherigen Nor¬
men gerichtet, sondern es muß end¬
lich auch eine weitgehende Anglei¬
chung des Rechtes 'der Arbeiter an
das der Angestellten erfolgen, ln
dieser Richtung konnten durch ein¬
zelne Gesatze der letzten Jahre be¬
reits weitgehende Fortschritte erzielt
werden, so insbesondere durch die im
Jahre 1949 geschaffene Arbeiter¬
rente und die im Jahre 1952 vorge-
h i im "w—A i111' ‘1''11111 itj des W, 1 w eil1
regehnigsgesetzes oingebracht, das das,
Preisregelungsgesetz 1950, das am
30. Juni 1954 sowieso abgelaufen
wäre, ersetzen soll.
Das Jubelgeschrei, das der „Öster¬
reichische Hausbesitz“, das Haus¬
herrenorgan, anstimmte und das in
der Überschrift gipfelte: „Preisgere¬
gelte Mietzinse sind verfassungs¬
widrig“, ist daher falsch, aber auch
verfrüht. Die Hoffnung, die die Haus¬
herren an das Urteil des Verfassungs¬
gerichtshofes anknüpften — eine
Klage des Vertreters des Hausherren¬
verbandes brachte ja die ganze An¬
gelegenheit ins Rollen —, zeigt a_ber
auch, wie wichtig es ist, die gesetz¬
liche Lücke, die durch die Aufhebung
des Preisregelungsgesetzes und der
gleichzeitig beschlossenen Aufhebung
der Preisrichtlinien vom 9. März ]93ir ~ <
entstanden ist, zu schließen. Das
Hausherrenorgan schrieb ja schon:
„Mit der Beseitigung dieser beiden
Rechtsvorschriften ist endlich ein ent¬
scheidender Beitrag zur Beseitigung
des Mieten- und Zinschaos geleistet
sowie ein Schritt nach vorwärts ^uf
dem Wege zur Liberalisierung der
Wohnungswirtschaft getan worden.
Es ist damit ab 1. Juli 1954 bei Neu-
Vermietung die freie Vereinbarung
der' Mietzinse in den nicht dem
Mietengesetz unterstellten Räumen--* J
gesichert." Das heißt, der Hausbesitz^
hofff, Tn*' die Mietzinsregehmg eine
Lücke zu reißen und, diese erweiternd,,
den gesamten Mieterschutz zu durch- |
löchern und schließlich zu Fall zu
bringen. Daß das nicht gelingen kann
und wird, zeigt auch eine Äußerung
von Staatssekretär Dr. Bock, der erst J
vor kurzem darauf hinwies.
daß eine kostendeckende Mietzins¬
erstellung gegenwärtig in Öster¬
reich völlig unmöglich sei. Man
müsse an verschiedene Interessen¬
vertretungen, die derartiges in der
Otfci.niD.UeH '
' rechtes.
Zur weiteren Angleichung wird
es notwendig werden, den Begriff
der „Invalidität" bei Arbeitern
dem Begriff der „Berufsunfähigkeit"
bei Angestellten näherzubringen.
So muß — wie bei den Angestell¬
ten — auch bei den Arbeitern die
Invalidenrente bereits bei einer
SOprozentigen Erwerbsminderung
gewährt werden.
Für Arbeiter und Angestellte ge¬
meinsam gilt die Forderung einer
weitgehenden Angleichung des Ren¬
tenrechtes an das der öffentlich
Bediensteten. Ebenso muß den SoziaT
versicherungsrentnern, wie den öffent¬
lich-rechtlichen Pensionisten, der An¬
spruch auf eine 13.- Rente im Jahr
gegeben werden.
Der Gewerkschaftsbund hat wie bei
allen seinen Forderungen das größte
Verständnis für den Wiederaufbau
unseres Staates und der Wirtschaft
gezeigt. Es ist nun endlich an der
Zeit, daß dieses Verständnis auch
von der Gegenseite tür den Wieder¬
aufbau unseres Sozialrechtes ent-
gegengebracht wird.
gende Ersuchen richten, solche un¬
realisierbaren Forderungen in der
Zukunft zu unterlassen!
Aber auch für die StabUisienmg-•
der Preise anderer lebenswichtiger
Artikel ist das Weiterbestehen der
PreTsregelung dringend erforderlich.
Dies kann an einem sehr aktuellen
Fall gezeigt werden. Bekanntlich will
die Landwirtschaft die MjltP --
3,5 Prozent auf 3TJJt»«^ffiauffeUen.
Falls die .PreLSregelung wegfallen
würde, wäre dies natürlich für die
Landwirtschaft ein Ansporn, den Ver¬
such ' zu madren, diese Auffettung
zum Anlaß einer Preissteigerung zu
machen.
Alle Reden über die wundertätigen
Wirkungen der Marktwirtschaft in
Ehren, aber ein handfestesPrsiSJ*«e-
iungsgesetz, mit dem die ärgsten
Unzukömmlichkeiten abgestellt wer-
den können, ist doch ein sichererer m
Grund, von dem aus Gefahren für dit
Stabilität unserer Währung und die
Lebenshaltung abgewehrt werden
können. Daher muß ein neues, der
österreichischen Verfassung angepa߬
tes Preisregelungsgesetz unbedingt
beschlossen werden. K-
Seile 2 Nr. 214 SOLIDARITÄT