einer Partei, die wieder Herrschafts¬
instrument eines Führers war. To¬
talitarismus ist aber ein schwanken¬
des Herrschaftssystem, das früher
oder später fallen muß.
Geschichtlich gesehen, fiel der
Totalitarismus bei uns sehr bald,
und die Zweite Republik revidierte
viele Fehler der Ersten. Der Staat
wird von den beiden großen Par¬
teien als Beauftragten der über¬
wiegenden Mehrheit des Volkes ge¬
führt, und Regierung und Volksver¬
tretung suchen im Interessenkampf
nicht einseitig, sondern ausglei¬
chend zu entscheiden. Zu Präsiden¬
ten der Zweiten Republik wurden
wirkliche Persönlichkeiten gewählt,
die vom Vertrauen und der Ach¬
tung der breiten Masse des Volkes
getragen waren. Die Gewerk¬
schaften wurden nicht nur Macht¬
faktoren, sondern in Staat und
Wirtschaft mittätige Machtinstru¬
mente.
Der Besuch des Bundespräsiden¬
ten bei den Gewerkschaften ist ein
Symbol des großen geschichtlichen
Wandels. In den hundert Jahren,
in denen aus einem absoluten
Herrscher als Staatsoberhaupt
ein demokratischer Bundespräsident
wurde, haben die Gewerkschaßen
aus dem ausgebeuteten, rechtlosen
Proleten den politisch gleichberech¬
tigten, durch Kollektivvertrag und
Sozialgesetze geschützten Arbeiter
gemacht, der nun auch nach
wirtschaftlicher Gleichberechtigung
strebt. Demokratie allein bringt
zwar noch nicht mehr Brot, aber sie
gibt die günstigsten Voraussetzun¬
gen, dafür zu kämpfen.
Der Kontakt unseres Bundespräsi¬
denten mit dem ganzen österreichi¬
schen Volke ist heute so eng und
herzlich, wie kaum anderswo in der
Welt. Aus dieser seiner Volksver¬
bundenheit heraus hat der Bundes¬
präsident mit seinem Besuch unbe¬
absichtigt einen Akt von geschicht¬
licher Bedeutung gesetzt: Die Ge¬
werkschaften, der Staatsfeind von
einst, erweisen dem heutigen demo¬
kratischen Staat, getragen von der
Souveränität des Volkes, durch ihre
positive Mitarbeit ihre Reverenz.
Das Staatsoberhaupt, einst der
oberste Herrscher über das Volk,
erweist als Repräsentant der Herr¬
schaft des Volkes den Gewerk¬
schaßen, die heute überparteilich
und so Willensträger der Gesamt¬
heit der Arbeiter und Angestellten
sind, seine Reverenz.
Wieso Preisanstieg?
Die Preissteigerungen, besonders
bei Fleisch und Gemüse, haben un¬
ter den Arbeitern und Angestell¬
ten berechtigten Unmut hervorge-
ruien, der bereits in Konferenzen
einzelner Fachgewerkschaften und
Vorsprachen,von Betriebsräten sei¬
nen Ausdruck fand. Der nachste¬
hende Artikel befa&t sich mit den
Ursachen und den erforderlichen
Maßnahmen im Zusammenhang
mit den Preissteigerungen.
Wer heuer durch Vitaminzufuhr
seine Frühjahrsmüdigkeit überwinden
oder d-en Ratschlägen der modernen
Ernährungswissenschaft folgen wollte,
mußte eine höchst unerfreuliche Rück¬
kehr zum Knofel- und Brennessel¬
spinat und zum Löwenzahnsalat der
Nachkriegszeit antreten. Die unver¬
schämten Gemüse- und Obstpreise, die
in den vergangenen Wochen gefordert
wurden, haben es nämlich der Arbei¬
terfamilie unmöglich gemacht, das so
notwendige Gemüse zu kaufen.
Aber auch mit jenen Leuten, die mit
der modernen Ernährungswissenschaft
nichts zu tun haben wollen und beim
guten alten Rind- und Schweinefleisch
geblieben sind, hat die Landwirtschaft
kein Einsehen gehabt.
Anscheinend war man in den zu¬
ständigen Ministerien der Auffas¬
sung, daß eine Steigerung des
Fleischpreisindex gegenüber der
Vorkriegszeit aut das Acht- bis
Neunfache nicht genug sei, und ex¬
portierte rücksichtslos Rindvieh nach
Italien und der Schweiz, wodurch
die Preise in Österreich entspre¬
chend anzogen.
Die Teuerung in den erwähnten
drei Warengruppen ist fast ausschlie߬
lich schuldtragend für die Verteuerung
der Lebenshaltungskosten im April
1954 gegenüber dem Vorjahr, die das
Wirtschaftsforschungsinstitut mit neun
Prozent beziffert. Der durchschnitt¬
liche Aufwand der Arbeiterfamilie ist
in diesem Zeitraum laut Wirtschafts¬
forschungsinstitut um S 35,50 gestie¬
gen. Der Großteil der Verteuerung der
Lebenshaltungskosten, nämlich S 25,50,
das sind mehr als zwei Drittel des
Steigerungsbetrages, gehen auf die
gesteigerten Gemüsepreise zurück.
Weitere S 3,64 sind das Ergebnis der
Fleischpreiserhöhung und S 1,80 das
Ergebnis der Obstverteuerung.
Hätte man nicht die Preise in die¬
sen drei Warengruppen durch unver¬
antwortliche Manipulationen künst¬
lich verteuert, wäre der Lebenshal-
iungskostenindex um knapp einein¬
halb Prozent, also nur sehr un¬
wesentlich gestiegen.
Handel und Landwirtschaft machen
sich die Erklärung der Gemüsepreis¬
steigerung sehr leicht. Man führt aus,
daß die schlechte Witterung dieses
Jahres eine Mißernte hervorgerufen
hat und daß die Einfuhren aus Italien
sogar ein wenig höher waren als im
Vorjahr. Daß aber der Gemüsepreis so
sehr gestiegen ist, ist ein Beweis da¬
für, daß die Einfuhren nicht groß
genug waren, und was viel wichtiger
ist, das Anhalten des Schlechtwetters
wird zu einer Obst- und Gemüseernte
führen, die gerade mittelmäßig sein
wird.
Wenn also nicht größere Einfuh¬
ren im Laufe des Frühlings und
auch des Frühsommers durchgeführt
werden, werden die Gemüsepreise
heuer eineinhalbmal bis doppelt so
hoch sein wie im vergangenen Jahr.
Das würde eine schwere Belastung
für den Arbeiterhaushalt bedeuten.
Das Landwirtschafts- und das Han¬
delsministerium vertrösten die Bevöl¬
kerung damit, daß sie große Einfuhren
tätigen werden. Das ist aber ein
schwacher Trost. Die bisherige Praxis
der Importeure hat gezeigt, daß, wenn
bei einer Ware keine echte Liberali¬
sierung durchgeführt wird, die Lizenz¬
träger es sich zu richten verstehen
und nur so viel einführen, daß die
Preise hoch bleiben und schöne Zwi¬
schenhandelsspannen herausschauen.
Die Landwirtsdiaft hat sich bisher mit
aller Macht gegen die Liberalisierung
von Obst, Gemüse und Frühkartoffeln
zur Wehr gesetzt. Sie hat damit aber
nur dem Zwischenhandel genützt, denn
? es liegt auf der Hand, daß, wenn
wirklich ausreichende Inlandsgemüse-
lieferungen auf den Markt kommen,
die Preise so niedrig sind, daß italie¬
nische Ware, die viele hundert Kilo¬
meter transportiert werden muß, damit
niemals konkurrieren kann.
Viel schwerer fällt dem Landwirt¬
schaftsministerium und dem Handels¬
ministerium die Verteidigung der
Fleischpreissteigerung. Die Fleisch¬
preissteigerung ist nämlich, wie schon
erwähnt, ein Ergebnis der Rindvieh¬
exporte, die erst eingestellt wurden,
nachdem der Preisauftrieb eingetreten
ist und die Empörung der Konsumen¬
ten, gemeinsam mit dem Ärger der
Fleischhauer, das Landwir'tschafts- und
Handelsministerium zur Umkehr ihrer
Politik zwangen.
Durch den Rindviehpreis, der
durch die Exporte künstlich erhöht
wurde, wurde natürlich auch der
Schweinefleischpreis mitgerissen, und
nun wird es wieder einige Zeit
dauern, bis durch die Exportsperre
die Fleischpreiserhöhung zurück-
geschraubt werden kann.
Kleinere, aber doch auch fühlbare
Preissteigerungen beziehungsweise die
Verhinderung von Preissenkungen
wurden durch die neue Zollpolitik des
Finanzministeriums herbeigeführt. Die
Arbeiterkammer fordert seit Monaten
Zollsenkungen. Dem will man aber
nicht Rechnung tragen, sondern folgt
den Wünschen von kleinen Interes¬
sentengruppen und erhöht die Lebens¬
haltungskosten vor allem der Arbeiter
und Angestellten. Die ganze Steuer¬
senkungspolitik, die der Finanzmini¬
ster der österreichischen Bevölkerung
seit Jahr und Tag verspricht, wird da¬
durch zu einem Hohn gemacht.
Was nützt es der österreichischen
Bevölkerung, wenn zwar die direk¬
ten Steuern gesenkt' werden, ihr
aber die Einkommenserhöhung durch
Zollerhöhungen und eine Verteue¬
rung der Importwaren vor der Nase
wieder weggeschnappt wird.
Bei einigem guten Willen hätte man
durch entsprechende Zollsenkungen t,
jene kleineren Preissteigerungen, die
durch eine vorübergehende Entwick¬
lung auf dem Weltmarkt hervor-
gerüfen wurden, ausglekhen können.
Die Verteuerung von Kaffee, Tee,.
Kakao und Seife, die wahrscheinlich
auf eine bloße Spekulation auf dem
Weltmarkt zurückgeht und die bereits
am Zusammenbruch ist, hätte sidi so ^|3|
im Inland nicht auswirken müssen.
Es soll nicht geleugnet werden, daß
bei vielen F-ertigfabrikaten, bei Ben¬
zin, bei Kartoffeln und bei Orangen
gegenüber dem Vorjahr bedeutende
Preissenkungen eingetreten sind. Es
soll auch nicht übersehen werden, daß
wir -eine Schillingkursänderung durch¬
geführt haben, von der man ursprüng¬
lich annahm, daß sie das Preisniveau
um vier bis fünf Prozent erhöhen
würde, während wie schon gesagt
die tatsächliche Preiserhöhung, ab¬
züglich der künstlich hinaufgetrie-' ^
benen Preise von Gemüse, Fleisch und
Obst, knapp eineinhalb Prozent gegen-
über dem Vorjahr beträgt.
Die entscheidenden Preiserhöhungen
gehen aber auf Marktbeeinflussungen,
siehe Gemüsepreise, zurück. Große
porte, die wiederum die Liberalisie¬
rung dieser Sparte zur Voraussetzung
haben, können zum Ziel, das heißt zur
Senkung der Preise, führen.
Schließlich müssen wir alles unter¬
nehme»!, um unsere Auslandsguthaben
in Ost und West hereinzubekommen
und unser Aktivum in der Zahlungs¬
union abzutragen. Der wirtschaftlich
vernünftigste Weg dazu ist die Mehr¬
einfuhr von Gemüse, Obst und Früh¬
kartoffeln, denn wenn wir in unsere
Nachbarländer etwas exportieren wol¬
len, müssen wir auch von dort her im¬
portieren. Auf dem Gemüsesektor kön¬
nen wir nicht autark sein, das haben
die letzten Wochen mehr als deutlich
Präsident Böhm hat namens des
österreichischen Gewerkschaftsbun¬
des ein Schreiben an Bundeskanzler
Ing. Raab gerichtet, in dem er darauf
hinweist, daß die Verteuerung der
Lebenshaltungskosten, vor allem
durch die hohen Gemüse- und
Fleischpreise, in weiten Kreisen der
Arbeiterschaft nicht unbeträchtliche
Erregung ausgelöst hat. | | »i - "*
Der Gewerkschaftsbund warnt
ernstlich vor den Konsequenzen,
wenn es nicht gelingt, diese Preis¬
steigerungen wieder rückgängig zu
machen.
Die durch die Preiserhöhung jp
letzter Zeit eingetretene Erhöhung
der Lebenshaltungskosten ist für die
Arbeiter und Angestellten unerträg¬
lich, und das Preisniveau vor Beginn
dieser Erhöhungen muß raschest
wiederhergestellt werden.
Eiqentümer. Herausgeber und Verleger: Öster¬
reichischer Gewerkschaftsbund. Redaktion:
Fritz Kienner und Franz Nekula. Verantwort¬
licher Redakteur: Karl Franta. Für die Bild¬
beilage verantwortlich: Fritz Konir. Gestaltung
der Bildbeilage: August Makart. Alle Wien,
I., Hohenslaufcngasse 1012. Druck: Wald-
heim-Eberle, Wien, VII., Seidengasse 311.
Industrie und Gewerbe leiden un¬
ter Absatzmangel; die Waren blei¬
ben liegen
Unsere Nachbarn können von
nur wenig Industrieartikel kaufen,
da wir ihnen auch nur wenig
abnehmen