Nochmals:
Einige Minuten Überlegung!
ren würde. Dort, wo die Konjunktur
und die gestiegene Produktivität
Lohnverbesserungen erlauben, sol¬
len sie durchgeführt werden.
Es ist das Recht jedes Mitgliedes,
sich über die Tätigkeit des Gewerk¬
schaftsbundes sein Urteil zu bilden,
aber es ist auch Pflicht, kein vor¬
schnelles Urteil zu fällen, sondern
zu prüfen, was jeweils in Anbe¬
tracht der Situation geschehen ist.
Wer die Umstände und Schwierig¬
keiten berücksichtigt und wessen
Urteilsvermögen sich nicht durch
Demagogie und Gedankenlosig¬
keit zu Fehlschlüssen verleiten läßt,
wird finden, daß es überraschend
viel ist, was der Gewerkschaftsbund
im Interesse der Besserstellung der
Arbeiter, Angestellten und Rentner
in den letzten Monaten und über¬
haupt seit 1945 geleistet hat. Daß
noch sehr, sehr viel zu tun übrig¬
bleibt und daß insbesondere der
Preisgestaltung größtes Augenmerk
geschenkt werden muß, ist erst recht
ein Grund, den bisherigen Fort¬
schritt zu würdigen und zuversicht¬
lich zu sein, daß auch die schwe¬
benden Probleme letztlich doch ge¬
meistert werden.
Eine Beleidigung
Während deutsche Arbeiter und
Angestellte um ein größeres Stück
Brot für sich und ihre Familien
kämpften, hatten zwei österreichische
Zeitungen nichts Besseres zu tun, als
ihnen in den Rücken zu fallen. Es
waren dies die „Salzburger Nachrich¬
ten“ und der Wiener „Bild-Telegraf"
— beide unter der Leitung von Doktor
Gustav A. C a n a v a 1.
Offenkundig in dem Bedürfnis, den
deutschen Kapitalisten in dankbarer
Verpflichtung einen Dienst zu er¬
weisen, erklärten die „Salzburger
Nachrichten“ wie auch der „Bild-
Telegraf“ dem österreichischen Le-
Für den „Bild-Telegraf" sind kämpfende
deutsche Arbeiter Witzfiguren! Diese be¬
leidigende Karikatur brachte der „Bild-
Telegraf in seiner Ausgabe vom 13. August.
ser, daß es in Deutschland gar nicht
um die Arbeiterlöhne geht, sondern
um das Geltungsbedürfnis der „Ge¬
werkschaftsbosse". Die Arbeiter wür¬
den von diesen zu Lohnbewegungen
nur aufgehetzt.
Man kennt das alles übrigens auch
bei uns schon lange. Man wundert
sich nur, daß man es noch immer mit
dieser alten Leier von „hetzerischen
Gewerkschaftsbonzen" und von den
saudummen „irregeführten" Arbeitern
versucht. Neu daran ist nur der
Zynismus, mit welchem die Zeitungen
des Herrn Canaval ausgerechnet
deutsche Arbeiter herabzusetzen su¬
chen.
Die österreichischen Arbeiter und
Angestellten wissen, was sie von sol¬
chen Blättern zu halten haben, die
die deutschen Kollegen auf so hinter¬
hältige Weise beleidigen.
Zu dem in Nummer 220 der „Solida¬
rität" veröffentlichten Artikel „Einige
Minuten Überlegung erbeten!" sind eine
Reihe von Zuschriften eingelangt, in
denen zum Problem der Löhne und
der Preise Stellung genommen wird.
Wir veröffentlichen einen Auszug aus
diesen Zuschriften und auch einen Aus¬
zug aus einem Antwortschreiben auf
eine der Zuschriften. Die Diskussion
über dieses Problem erscheint damit
vorläufig abgeschlossen.
Der arbeitende Mensch fragt mit
Berechtigung: Wo bleibt bei der er¬
folgten Produktivitätssteigerung die
Preissenkung? Und warum steigen die
Fleischpreise, wenn so viel Vieh vor¬
handen war? Und warum frotzelt man
die Menschen mit Propagandatafeln:
Eßt mehr Rindfleisch! Und auf noch
eine Frage wartet der Arbeiter und
Angestellte auf Antwort: Warum ver¬
sagt die praktische Anwendung der
verschiedenen Gesetze, wie Preisüber-
wachungsgeselz usw.? Die Gewerk¬
schaft müßte der Preisentwicklung ihr
besonderes Augenmerk zuwenden, da¬
mit nicht plötzlich Preiserhöhungen
entstehen, die nur eine unerquickliche
Lage heraufbeschwören.
Johann B., Eben, Pongau.
*
Einer der Gründe, warum die Erre¬
gung über die Preisentwicklung so
groß war, ist, daß es der Arbeiter ein¬
fach satt hat, daß man die Opfer
immer von ihm verlangt. Will er mehr
Lohn, gleich heißt es, der Schilling ist
in Gefahr. Er sagt sich ganz folgerich¬
tig, warum nur bei mir? Wenn er
wieder ein Opfer auf sich nehmen
muß, heißt es, wir sind mitverantwort¬
lich im Staate, wir müssen das ein-
sehen. Logischerweise sagt sich der
Arbeiter jetzt auch, wenn die Ge¬
werkschaft mitverantwortlich ist, dann
muß sie auch die Macht haben, unge¬
rechtfertigte Preiserhöhungen abzu¬
wehren, und verlangt es daher auch.
Marie ?E., Rohrbach a. d. Gölsen.
*
„Fleisch und Bier teurer", „Preise
für Milch und Brot sollen steigen",
„Gemüsepreise um 20 Prozent teurer
als im Vorjahr"! So und ähnlich lau¬
teten die Schlagzeilen verschiedener
Zeitungen. Nie und nimmer dürfen
wir bei einer solchen Entwicklung
ruhig zuschauen. Ganz verständlich
also, daß die Erregung in der Arbei¬
terschaft einen Höhepunkt erreichte.
Hier griff nun die Gewerkschaft ganz
richtig ein. Durch Interventionen und
Verhandlungen konnte bald eine sin¬
kende Tendenz der Preise erreicht
werden. Wie aber können wir uns in
Zukunft vor Preisexzessen schützen?
Nun, dazu haben wir alle vier Jahre
Gelegenheit. Wenn der Arbeiter weiß,
wie er bei der Urne zu handeln bat,
dann glaube ich, braucht uiis nicht
bange zu sein!
Hans P., Freistadt.
*
Auf dem Preissektor sind wir heute
noch so hilflos wie vor ein paar Jahr¬
zehnten auf der Lohnseite. Die Ar¬
beiter und Angestellten müssen immer
wieder Zusehen, wie das mühsam her¬
gestellte Gleichgewicht zwischen Löh¬
nen und Preisen ins Wanken kommt.
Da die Gewerkschaft anscheinend da¬
gegen keine wirksame Waffe besitzt,
führt die berechtigte Empörung zu Un¬
mutsäußerungen, deren Ende dann
meist nicht abzusehen ist. Die Ent¬
wicklung in den letzten Jahren bekräf¬
tigt diese Feststellung: Der Arbeiter¬
bewegung ist es noch nicht gelungen,
auf die Wirtschaftsführung entschei¬
denden Einfluß zu nehmen, der eine
Kontrolle der Preise ermöglichen
würde. Das einfache Gewerkschafts¬
mitglied, aber auch der Vertrauens¬
mann, können nicht verstehen, daß
der große, starke Gewerkschaftsbund
hier nicht Ordnung schaffen kann. Sie
können nicht verstehen, daß die Ar¬
beitnehmer im Interesse des Staates
Zurückhaltung üben sollen, die Wirt¬
schaftstreibenden selbst aber ihre
Konjunktur rücksichtslos ausnützen.
Rosa W., Wien, XXI.
*
Abschließend ein Auszug aus einem
Brief von Kollegen Walter L., Wien,
XIII.:
Zuerst will ich nur ganz kurz be¬
richtigen, daß die erwähnten Gemüse¬
preise zum Zeitpunkt des 15. Juli un¬
gefähr doppelt so hoch waren wie im
Jahre 1953 und daher auch nicht auf
den Stand des Vorjahres zurückgegan¬
gen sein konnten, wie dies behauptet
wurde. Daß ferner auch die Fleisch¬
preise einen seit drei Jahren kaum
erreichten Höchststand aufweisen,
und gar keine Rede davon sein
kann, daß dieselben in den letzten
Wochen wieder zurückgegangen
seien. Im Gegenteil, manchenorts
konnten Preise beobachtet werden,
die weit über den amtlichen Höchst¬
preisen liegen — ohne daß man ge¬
gen solche Gesetzwidrigkeiten einge¬
schritten wäre.
Doch nun zu einem weit wichtige¬
ren Problem, nämlich zur Frage un¬
seres Reallolines, die in den letzlon
Tagen von verschiedenen Persönlich¬
keiten und Zeitungen aufgegriffen,
aber leider unrichtig interpretiert
wurde.
Für die wahrheitsgetreue Ermitt¬
lung von Indexziffern, sei es nun auf
dem Gebiete der Preise, der Nominal¬
oder Reallöhne, wäre vor allem der
wichtige Umstand zu beachten, daß
man Gleiches immer nur mit Gleichem
vergleichen kann. Ein Fehler, der
jedoch immer wieder ge¬
macht wird, ist die üble Ge¬
wohnheit, Preise zwar mit
dem Jahre 1 9 3 8, Löhne hin¬
gegen mit dem Jahre 1945
zu v-e ” lei c h e n. Es Ist daher
wirklich kein Wunder, wenn man da¬
bei zu Resultaten gelangt, die der
Wirklichkeit hohnsprechen. Wenn
der heutige Nettolohnindex gegen¬
über 1938 mit 751, 750, 728,3, 695 oder
678,9 angegeben wird, so ist das un¬
richtig, wie sich leicht beweisen läßt.
Es wäre nur zu begrüßen, wenn die
folgenden Ausführungen endlich ein¬
mal Klarheit über die tatsächliche
Höhe unseres Reallohnes schaffen
wurden, um verhängnisvolle Irrtümer
fürderhin zu vermeiden.
*
In unserer Antwort an Kollegen
Walter L. heißt es unter anderem:
Wir haben nicht die Absicht, uns
in lange Erörterungen über die Rich¬
tigkeit oder Unrichtigkeit von Index¬
berechnungen einzulassen. Bekannt¬
lich kann man mit der Statistik alles
beweisen. Wir haben in unserem Ar¬
tikel „Einige Minuten Überlegung er¬
beten!" ausdrücklich darauf hingewie¬
sen, daß wir die Grundlagen der an¬
geführten Berechnungen keinesfalls
akzeptieren, sondern uns nur ganz
allgemein über die Tendenz informie¬
ren wollen. Daß die Schlüsse, die wir
gezogen haben, richtig sind, kann
jeder selbst beurteilen, der seine fünf
Sinne beisammen hat und um sich
blickt. Niemand wird leugnen, daß es
den Arbeitern und Angestellten weit
besser geht als vor neun, acht und
sieben Jahren, und auch noch vor
zwei bis drei Jahren. Ebenso geht es
der Masse der Arbeiter und Ange¬
stellten weit besser als 1937 und vor¬
her, zur Zeit der großen Arbeitslosig¬
keit und hunderttausender Ausgesteu¬
erter.
Allerdings ist die Lebenshaltung
der Arbeiter und Angestellten noch
nicht zufriedenstellend. Aber kann
man,sie mit einer allgemeinen Lohn¬
bewegung bei schwankender Preis¬
tendenz bessern?- Es muß alles getan
werden, die Entwicklung in der Rich-
30 Jahre
Büchergilde Gutenberg
Am 29. August 1924 wurde
IgT” die Büchergilde Gutenberg
von Gewerkschaftern für
|MJJ Gewerkschafter gegründet.
Sie zählt heute in Österreich,
Deutschland und der Schweiz eine
halbe Million Mitglieder. Jedes Ge¬
werkschaftsmitglied, das gerne gute
Bücher liest, sollte Mitglied der
Büchergilde Gutenberg sein. Aus¬
künfte erteilen alle Geschäftsstellen
der Büchergilde sowie die Zentrale
in Wien, HL, Rennweg 1.
tung zu einer Preissenkung zu stär¬
ken. Bei einer allgemeinen Lohn¬
bewegung würde das Gegenteil ein-
treten, nämlich alle Preise würden so¬
fort anziehen, und die erreichten
Lohnerhöhungen wären illusorisch,
höher die Lohnerhöhungen, desto
mehr würden die Preise emporschnel¬
len.
Es ist doch viel vernünftiger — und
diesen Standpunkt haben wir ein¬
deutig zum Arsdruck gebracht —,
branchenweise dort etwas herauszu¬
holen, wo die Konjunktur dies er¬
laubt. Das führt zu keiner Psychose
des Preisauftriebes, und es kann auch
viel leichter eine Uberwälzung der
Lohnerhöhung auf Preise vermieden
werden. Der Gewerkscliaftsbund ist
an sich nicht gegen Lohnerhöhungen,
er will nicht den verkehrten, sondern
den richtigen Weg zur Verbesserung
des Reallohnes gehen.
Man soll mit einem noch nicht völ¬
lig Gesunden, wie es die österreichi¬
sche Volkswirtschaft noch immer ist,
keine Roßkur machen, sondern ihm
schrittweise, mit der entsprechenden
Behandlung, weiterhelfen. Wir wissen,
daß ein sehr wirksames Medikament
die Hebung der Konsumkraft der brei¬
ten Massen ist. Aber dT Milf1 ? Hl
richtig dosiert werden.
*
Demokratie bedeutet Dis¬
kussion! Der österreichische Ge-
werkschaftsbund steht voll und ganz
auf demokratischen Grundsätzen nnd
braucht daher eine Diskussion nicht
zu scheuen. Auch wenn in einer Dis-„
kussion heiliger Unmut zum Aus¬
druck kommt, werden wir nichts zu
vertuschen und zu beschönigen ver¬
suchen, sondern wir werden aufrich¬
tig und klar Stellung nehmen.
Die Gegner der Gewerkschafts¬
bewegung warten zwar immer sehn¬
süchtig auf Unmutsäußerungen und
deuteln sie sogleich als „Krisen¬
erscheinungen in den Gewerkschaf¬
ten", das soll uns aber nicht hindern,
offen auszusprechen, was wir denken
und fühlen. Letzten Endes steht über
jeder Diskussion und Auseinander¬
setzung das gemeinsame Ziel, das wir
nur gemeinsam mit Hilfe unserer Ge¬
werkschaften erringen können: E i n
besseres Leben für alle ar¬
beitenden Menschen unse¬
res Landes!
Adeiiet&mk
AKTIENGESELLSCHAFT WIEN
Prompte und gediegene Durchführung oller
bankmäßigen Geschäfte. — Entgegennahme
von Spareinlagen. — Finanzielle Beratung
WIEN!, S E ITZERGAS S E 2—4 Telephon: R 50-5-40 Serie
ZWEIGSTELLE WIENZEILE:
WIEN, IV., Rechte Wienzeile 37
Telephon: B 26-0-91
FILIALEN:
GRAZ, Annenstraße24
KLAGENFURT, Bahnhofslraße 44
LINZ, Weingarlshofslraße 3
Seite 2 Nr. 223 SOLIDARITÄT