Baustelle in Asien
Der Bauingenieur Michael O'C a 11 a g h a n hatte lange Zeit aut verschie¬
denen Baustellen in Asien gearbeitet und auch für die Internationale Arbeits¬
organisation, die mit den Vereinten Nationen verbunden ist, Untersuchungen
über dia Arbeitsbedingungen aut den großen Baustellen durchgeführt. Ohne
auf die sozialen Zusammenhänge näher einzugehen, schildert er in nachfolgen¬
dem Artikel seine Eindrücke. Bezeichnend in seinem Bericht ist, daß er überall
dort, wo die Aibeitsorganisation oder die Gewerkschaften Einfluß hatten,
bessere, menschenwürdigere Arbeits- und Lohnverhältnisse antraf. Aber
selbst die für Asien idealsten Zustände sind für europäische Begriffe noch
erschreckend primitiv. Hier Michael O’Callaghans Bericht:
„Ein Esel ist pro Tag ebensoviel
wert wie vier Frauen.“ Dies sagte
ein Unternehmer auf einem Damm
„irgendwo in Asien“.
Als ich Europa verließ, wo ich als
Zivilingenieur auf vielen Baustellen
gearbeitet hatte, war ich mir darüber
klar, daß es falsch wäre, die Bedin¬
gungen in Asien nach dem Maßstab
der gegenwärtigen Methoden in hoch¬
industrialisierten Ländern zu bewer¬
ten. Ebenso wußte ich, daß ich das
allgemeine Niveau der Wohlfahrt und
der Wirtschaft sowie soziale, klima¬
tische und andere Faktoren, die be¬
sonders auf die Bauarbeiter ein¬
wirken, in Betracht ziehen müsse.
Aber ich war kaum vorbereitet auf
den Anblick von Frauen, jungen Mäd¬
chen und sogar Kindern, die in großer
Zahl für den Transport und die Zu-
Die Behausung für
ungelernte Arbeiter
ist äußerst mangel¬
haft. In diesem Zelt
Von neun Quadrat¬
meter leben sieben
Arbeiter. Das Bett
besteht aus auf dem
Boden aufgeschüt¬
tetem Stroh; die
Einrichtungsgegen¬
stände stellen die
Männer selbst bei.
Sicherheitsvorkehrungen
Was die Sicherheit auf den Bau¬
stellen betrifft, sind sich Unternehmer
und Arbeiter einig, daß mehr Sicher¬
heitseinrichtungen geschaffen werden
müssen, doch die praktische Durch¬
führung auf den Arbeitsstellen läßt
viele Wünsche offen. Die gebräuch¬
lichste Form der Gerüste ist aus
Bambus, der eine bewegliche Struktur
mit bemerkenswerter Dehnungsfähig¬
keit garantiert. Querverstrebungen in
den Gerüsten sind jedoch häufig nicht
vorhanden. Die Mehrheit der Arbeiter
war bloßfüßig, und vielenorts sieht
man an den Gerüsten weder Fu߬
bretter noch Geländer.
Die Unterbringung der Arbeiter auf
Großbaustellen 'in abgelegenen Ge¬
bieten ergibt schwer lösbare Woh-
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Wohnungen für gelernte und unge¬
lernte Arbeiter auffallend. Diese Un¬
gleichheit bestand in gleichem Maße
bei den Löhnen.
Auf einem Großprojekt erfuhr ich,
daß der maximale Lohn eines unga-
Diese Arbeiter, bei einem Dammbruch in Asien, befördern Sleinbrocken von
den Brüchen zum Betonmischer.
Bereitung von Steinen, Zement, Sand
und Wasser verwendet werden. In
Gebieten mit ausgebreiteter Arbeits¬
losigkeit ist das von den Frauen ver¬
diente Geld oft die Grundlage, die
leeren Mägen der meist kinderreichen
Familien zu füllen.
Ich erlebte Fälle, wo Frauen und
Kinder unter Bedingungen beschäftigt
wurden, die nicht einmal für Asien
tragbar genannt werden können. Auf
einer Baustelle sah ich kleine Mäd¬
chen von neun und zehn Jahren, die
Ziegeln auf ihren Köpfen trugen. Wo¬
anders transportierte eine Frau in
vorgeschrittenem Schwangerschafts¬
stadium Steine.
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als 90 Prozent des Lohnes, der an ge¬
lernte Arbeiter gezahlt v^ird.
Hilfsarbeiter wohnen für gewöhn¬
lich in Schuppen ohne Waschgelegsn-
heit und ohne sanitäre Einrichtung.
Diese Hütten waren oft nicht mehr
als ein primitives Holzgerüst, mit
Wellblech verkleidet, oder ein Bam¬
busgestell, mit Schilfmatten umgeben.
Meist stellten die Arbeiter diese Be¬
hausungen selbst auf.
Die Facharbeiter dagegen lebten
mit ihren Familien oft in gefällig ge¬
bauten Bungalows mit elektrischem
Licht, Waschgelegenheit und sani¬
tärer Einrichtung. Im Vergleich zu
dem allgemeinen Niveau der Wohn¬
kultur sind diese Arbeiter wahr¬
scheinlich besser
j^rwffffRT^nen zuvor.
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nungsprobleme. In einigen Teilen
Asiens ist es nämlich bei den Bau¬
arbeitern Tradition, daß sie ihre Frau
und ihre Kinder überallhin mitbrin¬
gen. Daher ist es notwendig, nicht nur
die Arbeitskräfte, sondern auch deren
Familien zu beherbergen.
Bei großen öffentlichen Arbeiten,
wie Regulierungen oder Dammbaüten,
geht die Zahl der zu behausenden
Personen in die Tausende.
Ungleichheit in der Unterbringung
und in den Löhnen
Auf der Mehrheit der Baustellen,
die ich besichtigte, war besonders
der Unterschied in den beigestellten
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Von den Frauen wird aui den Baustel¬
len schwerste körperliche Arbeit ver¬
langt. Der Kopf als Transportmittel.
lernten Arbeiters höchstens 14 Pro¬
zent des Lohnes für Facharbeiter
betrage. Dies steht . in auffallendem
Gegensatz zu der Lage in Industrie¬
ländern, wo Hilfsarbeiter ungefähr
80 Prozent des Facharbeiterlohnes be¬
kommen. In Schweden zum Beispiel
berechtigt das „Preislistensystem" un¬
gelernte Arbeiter zum Bezug von mehr
Wasserversorgung
In der Mehrzahl der Fälle waren
die „Waschvorrichtungen und sani¬
tären Einrichtungen sehr unzuläng¬
lich, aber man bemühte sich ehrlich
um eine Besserung der hygienischen
Bedingungen. Auf einigen Baus^dltm
hingegen war die Wasserleitung-^tf-
weise abgesperrt. In einem Arbeitei-
lager gab es Wasser nur von sechs
bis acht Uhr, zu Mittag durch JO Mi¬
nuten hindurch und zwischen 16 und
18 Uhr. Es gab hier nur 16 Wasser¬
hähne für 2t6 Familien — und asiati¬
sche Familiert sind groß!
Die Latrinen lagen ungefähr
180 Meter von den Wohnungen der
Arbeiter entfernt, und ihre Anzahl
war meist zu gering. In der Mehrzahl
der Fälle gab es keine Wasser-,
Spülung.
Natürlich muß noch sehr viel getan
werden, ehe der Lebensstandard der
Arbeiter in den unterentwickelten
Ländern als zufriedenstellend bezeich¬
net werden kann. Das Problem einer
anständigen Unterbringung der Ar¬
beiter auf Baustellen ist in jedem
Land schwierig zu lösen, da die /V-
beitsdauer zeitlich begrenzt ist.
Es liegt auf der Hand, daß die Stel¬
lung der Bauarbeiter in Asien nen¬
nenswert nur dann verbessert werden
kann, wenn im Laufe der Zeit der
Lebensstandard der gesamten tn-
dustriebevölkerung steigt. Aus die¬
sem Grund haben die Bemühungen
der Internationalen Arbeitsorganisa¬
tion, die Bedingungen für die Arbeiter
in der gesamten Industrie zu verbes¬
sern, auch für die Bauarbeiter in ihrer
Gesamtheit große Bedeutung.
Soziales Elend in so großen Gebie¬
ten wüe in Asien bedeutet eine Ge¬
fahr für die sozialen Rechte der Ar¬
beitnehmer auch in anderen Ländern.
Seite 4 Nr. 226 SOLIDARITÄT