Fleischpreise — nüchtern betrachtet
Wer die Viehauitriebe auf dem Wiener Markt in der jüngsten Zeit beob¬
achtete, konnte feststellen, daß sich in den letzten Oktoberwochen die An¬
lieferung endlich verbesserte. Es wurden in der letzten Oktoberwoche um
20 Prozent mehr Schweine angeliefert als zur Zeit der Schweinefleisch-
schwemme im April 1953. Diese außerordentlich starke Vermehrung des An¬
gebotes, die infolge der Schweineimporte, die der Gewerkschaftsbund durch¬
gesetzt hat, eintrat, hat aber .vorläufig nur zu einer geringen Senkung der
Lebendviehpreise geführt, und die Letztverbraucherpreise haben sich bisher
tember um 1,5 Prozent über dem
Durchschnitt des Vorjahres.
Die Gewerkschaften — und nicht
immer die Unternehmer — waren
bisher die schärfsten Gegner einer
inflationistischen Entwicklung. Kann
ein Teil der Wirtschaftstreibenden
wirklich nicht über den Tag hinaus¬
sehen? In vielen Wirtschaftszwei¬
gen herrscht derzeit in Österreich
eine begrüßenswerte Konjunktur.
Wir exportieren viel, führen aber
leider demgegenüber viel zuwenig
ein. Die ganze Konjunktur ist viel
zu sehr von der wirtschaftlichen
Entwicklung im Ausland abhängig.
Wenn aber die Kaufkraft im In¬
land gehoben wird und dadurch
der Binnenmarkt sich verstärkt, so
kann damit unserer Wirtschaft eine
stabilere und krisenfestere Grund¬
lage gegeben werden.
Mit der Steigerung der Produk¬
tivität muß sich daher auch der
Reallohn heben. Das kann sowohl
durch Preissenkungen wie durch
Lohnerhöhungen oder durch beides
geschehen. Den Arbeitern und An¬
gestellten kommt es auf das Er¬
gebnis an. Wir brauchen keinen
Vorgriff in die Taschen der Unter¬
nehmer, aber wir können auch kei¬
nen Vorgriff in unsere Taschen
dulden, dadurch, daß man uns die
Ergebnisse der gesteigerten Ar¬
beitsleistung vorenthält.
Seit 1946 gewährt Österreich auf
Bundeskosten den österreichischen
Staatsbürgern unter den Heimatver¬
triebenen unter gewissen Voraus¬
setzungen sogenannte Vorschüsse auf
die Auslandsrente, für die unser
Staat genau so wie für die vielen Für¬
sorgeleistungen an die Volks¬
deutschen niemals auch nur einen
Groschen zurückbekommen wird.
Diese Vorschüsse widersprechen
aber dem ganzen Gefüge sozialer
Sicherheit, das bisher in Österreich
aufgebaut wurde. Aus diesem Grunde
war man bemüht, eine andere Rege¬
lung zu finden: Das Ergebnis ist das
Zweite österreichisch-deutsche Sozial¬
versicherungsabkommen, das in kur¬
zer Zeit im Bundesgesetzblatt ver¬
öffentlicht werden und dann rück¬
wirkend mit 1. Jänner 1953 in Kraft
treten wird.
Dieses Abkommen gilt für öster¬
reichische und deutsche Staats¬
angehörige und für Volksdeutsche.
Es bringt überdies die Einbeziehung
des Landes Berlin (West) in das be¬
reits in Geltung stehende Erste
österreichisch-deutsche Sozialver-
slcherungsabkommen.
kaum gerührt.
Die Fleischhauer konnten für die
Fleischpreisentwicklung in den Som¬
mermonaten dieses Jahres anführen,
daß ihre Gesamterlöse pro Schwein
unter denen des August 1952 und
auch unter denen des August 1953
lagen. Diese Preisentwicklung der ge¬
samten Schlachlprodukte ging auf den
Preisrückgang bei Speck,' Filz und
Bauchfleisch zurück. Und da ein
Schwein nicht nur aus Schinken be¬
steht, ergab sich trotz der sehr be¬
achtlichen Verteuerung der hoch¬
wertigen Fleischsorten ein geringerer
Erlös für die gesamten Schlachtpro¬
dukte.
Nun hat sich aber in der letzten
Zeit infolge der Verknappung des
billigen amerikanischen Schmalzes
eine Verteuerung von Speck und
Filz ergeben, und die Erlöse für die
gesamten Schlachtprodukte haben
in den letzten Oktoberwochen das
Niveau des Sommers 1952 erreicht.
Das Zweite Abkommen gilt nicht
nur für Volksdeutsche.‘dis bringt die
Einbeziehung sämtlicher Leistungen
und Anwartschaften (Versicherungs¬
zeiten) aus der Renten- und Unfall¬
versicherung, die in den nachstehend
angeführten Staaten erworben wur¬
den, in die österreichische Ver¬
sicherung: Bulgarien, Estland, Jugo¬
slawien, Lettland, Litauen, Ost¬
deutschland, Polen, Rumänien, Tsche¬
choslowakei, Ungarn.
Die Versicherungszeiten, die in die¬
sen Ländern zurückgelegt wurden,
werden bei der Prüfung eines Renten¬
anspruches aus der österreichischen
Invaliden-, Bergarbeiter- und Ange-
stelltenversicherung genau so be¬
rücksichtigt wie österreichische Ver¬
sicherungszeiten. Bei der Bemessung
der Leistungen werden gesondert
festgesetzte Steigerungsbeträge an¬
gerechnet.
Ein Anspruch gegen die österrei¬
chische Rentenversicherung ent¬
steht nur dann, wenn er beim zu¬
ständigen österreichischen Renten¬
institut innerhalb von einem Jahr
nach der Kundmachung des Ab¬
kommens im Bundesgesetzblatt zur
Vormerkung angemeldet wird.
Der gewogene Durchschnittspreis
für Schweinefleisch, Speck, Haxerln,
Innereien usw. liegt demnach umrund
30 Prozent über dem Tiefstand der
Schweinefleischpreise im April 1953.
Das Angebot an Schweinen ist also
nach einem Rückgang im Sommer
jetzt höher als im Frühling 1953, die
Preise gleichfalls! Der Gewinn fließt zu
rund drei Fünfteln der Landwirtschaft
und zu rund zwei Fünfteln den Fleisch¬
hauern zu. Die widerspruchsvolle Ent¬
wicklung zwischen Angebot und Preis
kann nur mit einer wesentlich gestei¬
gerten Nachfrage erklärt werden.
Diese wesentlich gesteigerte
Nachfrage gebt auf die verbesser¬
ten Beschäftigungs- und Einkom¬
mensverhältnisse sehr breiter Be¬
völkerungsschichten zurück.In ganz
Österreich lag die Zahl der Beschäf¬
tigten im Septemberirü4 um 155.000
über dem Beschäftiglenstand im
April 1953,
Auch wer erst in späteren Jahren
das Rentenalter erreicht, muß inner¬
halb eines Jahres — ungefähr bis
zum September 1955 — den entspre¬
chenden Vormerkungsantrag bei der
zuständigen Rentenanstalt einbringen.
Wird der Vormerkungsantrag nicht
gestellt, so können die ausländischen
Versicherungszeiten auf keinen Fall
angerechnet werden. Renten- und
Vormerkungsantrag können gleich¬
zeitig eingebracht werden. ’
Das Zweite österreichisch-deutsche
Sozialversicherungsabkommen sieht
auch die Übernahme der in den ange¬
führten Staaten erworbenen An¬
sprüche aus der Unfallversicherung
in die österreichische Unfallversiche¬
rung vor. Auch für die Berechnung
dieser Unfallrent.en wurden beson¬
dere Beträge festgesetzt. Für die Un¬
fallrenten erübrigt sich die Stellung
eines Vormerkungsantrages. Die Ren¬
ten selbst müssen jedoch beim zu¬
ständigen Unfallversicherungsträger
beantragt werden.
Die Kosten, die durch das Ab¬
kommen entstehen, trägt zum über¬
wiegenden Teil die Republik Öster¬
reich. Für geringe Leistungen an
deutsche Staatsangehörige wird die
Bundesrepublik Deutschland auf-
kommen.
Für den Bereich der Rentenver¬
sicherung sind folgende österrei¬
chische Anstalten zuständig:
Für Bergarbeiter die Bergarbeiter¬
versicherungsanstalt in Graz, Lessing¬
straße 20.
(Fortsetzung auf Seite 4)
das sind 8 Prozent. Die Nettover¬
dienste sind laut Index des Wirt-
schaftsforschungsinstituts vom April
1953 bis Juli 1954 um 4 Prozent ge¬
stiegen. Sie dürften sich von Juli bis
Oktober eher verbessert als ver¬
schlechtert haben. Für die Entwick¬
lung der Fleischpreise in den Herhst-
monaten war also sicherlich die ge¬
steigerte Kaufkraft in einem hohen
Grade maßgebend.
Wesentlich wichtiger als die Erklä¬
rung dessen, was war, ist natürlich
eine Vorhersage der künftigen Ent¬
wicklung.
Für die künftige Entwicklung
kann mit sehr großer Wahrschein¬
lichkeit angenommen werden, daß
sich die ganz leichte Entspannung
der Fleischpreise, die sich in der
letzten Okloberwoche gezeigt hat,
verstärken wird.
Die Entspannung war im entschei¬
denden Ausmaß ein Ergebnis der vom
ÖGB erkämptten stärkeren Importe,
die das Inlandsangebot ergänzt haben.
Leider sind die Importmöglichkeiten
für Schweine begrenzter, als es für
eine große Senkung der Fleischpreise
wünschenswert wäre. Die Landwirt¬
schaft der Oststaaten befindet sich
nach wie vor in einem so elenden
Zustand, daß. sie große Viehlieferun¬
gen zu niedrigen Preisen wie in der
Vorkriegszeit — 30.000 von 50.000
monatlich im Jahre 1937 angebotenen
Schweinen kamen aus dem Aus¬
land —, nicht anbieten und schon
gar nicht durchführen kann, nur
aus Jugoslawien sind geringere Vieh¬
importe möglich. Die Nachfrage
nach Schlachtvieh ist aber bei der
•gegenwärtigen Hochkonjunktur in
ganz Europa sehr groß und die Vieh¬
preise im Ausland meist höher als im
Inland. Der Almabtrieb wird sicher
eine Verbesserung auf dem Ru*ri-
fleischsektor bringen, aber allzu groß
wird sie momentan nicht sein. Denn
auf Grund des Rindermastförderungs¬
gesetzes müssen rübenproduzierende
Betriebe Rinder zur Mast einstellen,
und das entlastet in den Herbstmona¬
ten die Rindermärkte, bringt aller¬
dings bessere Qualitäten und natür¬
lich größere Mengen in den Winter¬
monaten.
So wahrscheinlich es ist, daß eine
gewisse Senkung der Fleischpreise
_ auch der Preise der besseren
Fleischsorten — unter das gegen¬
wärtige überhöhte Niveau eintritt,
so unwahrscheinlich ist ein Fallen
aui das Niveau des Frühsommers
1953,
in dem eine Fleischschwemme,
schwere - Arbeitslosigkeit und schlech¬
tere Einkommensverhältnisse zusam¬
mentrafen und das hohe Angebot, die
geringe Nachfrage und den daraus
folgenden niedrigen Preis erbrachten.
Demagogische Entstellungen der
Tätigkeit des ÖGB aut diesem Gebiete
können an diesen Tatsachen nichts
ändern, sondern nur seine Schlagkraft
im Kampf um die Herabsetzung der
Fleischpreise beeinträchtigen. K.
Renten für Heimntvertriebene
Nach dem letzten Krieg kamen zehntausende Menschen aus den osteuro¬
päischen Staaten nach Österreich. Viele von ihnen hatten in ihren Heimat¬
ländern bereits eine Rente bezogen. Diese Rentenansprüche gingen verloren,
weil sich die Regierungen und die SozialveiSicherungsinstitute dieser Län¬
der, offenbar aus politischen Gründen, weigerten, die Renten nach Österreich
zu überweisen, und auch nicht bereit waren, mit der Republik Österreich
Sozial Versicherungsverträge abzuschließen.
Nicht Hochschutzzoll,
sondern Modernisierung hilft
Hochschutzzollmauern kapseln die
Betriebe von der Vorwärtsentwicklung
in der Welt ab
Hochschutzzölle
fördern die Rückständigkeit
der Landwirtschaft
und schaffen hohe Agrarpreise
Was die Betriebe brauchen, um der Aus¬
landskonkurrenz nicht zu erliegen, sind
die Modernisierung und billige Kredite
Nur so können billige Waren
und ein höherer Lebensstandard
erreicht werden
Seite 2 Nr. 228 SOLIDARITÄT