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die französische und die deutsche, die sonst die nationalen
Gegensätze nicht leicht überwinden, gemeinsam vorgehen,
wenn es um die Frage der politischen Neutralität geht. Der
Kampf tobt namentlich in Deutschland leidenschaftlich und
nimmt immer heftigere Formen an, die gewiß an den starken
Fundamenten der deutschen Genossenschaftsbewegimg, die
erstaunlich erfolgreich aus dem Währungszusammenbruch
hervorgegangen ist, nicht rütteln werden, die aber doch das
Leben der Organisation erschweren und vielfach vergiften.
Nun dürften aber diese Kämpie, die bereits auf dem ersten
internationalen Kongreß in Basel aufgetaucht sind, diesmal
zu ernsten Auseinandersetzungen auf dem Kongreß in Gent
führen, die nicht leicht durch eine Entscheidung wieder zur
weiteren Zusammenarbeit führen werden. In Basel wurde
von den Engländern und von den Vertretern der kleineren
Nationen gegen die Deutschen und Franzosen — Thomas
war der leidenschaftliche Führer dieses Kampfes —
beschlossen, die russischen Genossenschaften in den Inter¬
nationalen Genossenschaftsbund aufzunehmen. Auf dem¬
selben Kongreß wurde beschlossen, mit der Amsterdamer
Internationale gemeinsame Beratungen zu pflegen, um ein
gemeinsames Arbeitsgebiet abzustecken, das nun nicht
mehr getrennt von jeder Organisation bearbeitet werden
soll. Schon in Prag haben die Russen die Forderung ge¬
stellt, es sollten auch mit der Dritten Gewerkschafts¬
internationale ähnliche Beziehungen hergestellt werden,
denn wenn sie Mitglieder des Genossenschaftsbundes seien,
dann seien sie auch berechtigt, die Verbindung mit ihren
Organisationen zu verlangen. Anläßlich des letzten
Kongresses der politischen Dritten Internationale fand
auch ein Genossenschaftskongreß in Moskau statt, der den
Kampf gegen die Genossenschaften ebenso proklamierte,
wie er ihn in den Gewerkschaften seit jeher führt. Es
erscheint nun auch eine Zeitschrift „Die Genossenschaft
im Klassenkampf", die von der Kooperativsektion der
Kommunistischen Internationale herausgegeben wird und
die den Genossenschaftsbund in der heftigsten Weise
angreift, in derselben Weise, in der bisher Amsterdam
angegriffen worden ist. Nun ist bei dem Kampf, den nun
Moskau gegen den Internationalen Genossenschaftsbund
eröffnet, die Situation insofern anders, als hier die Ver¬
treter der russischen Genossenschaften ja Mitglieder des
Bundes sind, in seinem Zentralvorstand, in seinen
Kommissionen und in seinem Exekutivkomitee sitzen. Sie
fassen auf der einen Seite die Beschlüsse alle mit, die
sie auf der anderen Seite bekämpfen und angreifen. Es
ist natürlich, daß die Genossenschaften, die den Kampf im
eigenen Land gegen die Kommunisten führen, diese
Taktik nicht lühig hinnehmen wollen und verlangen, die
russischen Genossenschaften müßten sich entscheiden:
entweder sie sind Mitglieder des Internationalen Genossen¬
schaftsbundes und sie mengen sich nic'ht in die Ver¬
hältnisse anderer Länder ein, oder sie müssen die
Konsequenzen ziehen und den Bund verlassen. Dagegen
stehen vielfach praktische Verbindungen, die zwischen den
russischen und den englischen Genossenschaften angeknüpft
sind, die eine gemeinsame Handelsgenossenschaft, die
Grain-Export-Association. gegründet und im vergangenen
Jähr 2,500.000 Tonnen Getreide ausgeführt haben und die
im engsten Gegenseitigkeitsverkehr stehen und auch
geistig starke Beziehungen zueinander und auch die
Sympathie, die viele Genossenschaften anderer Länder für
die russische Bewegung haben, und die Angst anderer,
die eine Spaltung fürchten. Man versucht nun immer
wieder diese Schwierigkeiten zu überbrücken, indem man
sagt, die Genossenschat'lsbewegung ist neutral, aber mit
Recht können ja die russischen Genossenschaften darauf
hinweisen, daß in den meisten Ländern die besten Be¬
ziehungen zwischen den sozialistischen Parteien und den
Genossenschaften bestehen und sie in ihrem Land einfach
tun, was die anderen Länder auch tun. Dagegen steht
nun allerdings die Tatsache, daß kein Land die politische
Neutralität des Bundes angegriffen hat. daß jedes Land
daheim die Frage nach seinem Gutdünken löst, aber
international die Parolen befolgt, die international be¬
schlossen werden. Nun sagen die Russen, sie unter¬
stützen die Opposition in Deutschland nicht. Wir kümmern
uns nicht darum, was in anderen Ländern geschieht, aber
jedermann weiß, daß die deutsche kommunistische Be¬
wegung vor allem von den moralischen und materiellen
Unterstützungen der russischen Regierung lebt, und wenn
die russischen Genossenschaften auch nachweisen können,
daß sie der Opposition fernstehen, so kann ein solches
Alibi gewiß nicht täuschen, daß die Bewegung, wenn sie
ein loyales Mitglied des Bundes ist, den Kampf gegen
den Bund verhindern müßte. Für die russischen Genossen¬
schaften ist die Entscheidung nicht leicht. Sie haben
heute auch ein starkes Interesse, ihre Verbindungen mit
den Genossenschaften anderer Länder aufrechtzuerhalten,
weil sie ja nur durch die englischen Genossenschaften den
Eintritt in das Land erhalten haben und durch sie eine
starke Unterstützung in allen Fragen, die zwischen den
beiden Staaten erörtert werden, finden. Vielleicht wird
es deshalb möglich werden, doch einen Ausweg aus dieser
keineswegs leichten Situation zu finden und die Einheit des
Bundes zu erhalten. Die Frage der politischen Neutralität
wird neuerlich, nicht aus prinzipiellen, sondern aus
taktischen Gründen zur Diskussion gestellt werden.
AUS DER PRAXIS DER BETRIEBSRÄTE,
GEWERBEGERICHTE UND EINIGUNGS-
AMTER / Richard Frankel
Verwendung der Betriebsratsumlage.
Wenn wir heute zum erstenmal auch zu dieser Frage
Stellung nehmen, so werden wir hiezu durch eine inter¬
essante Entscheidung des Einigungsamtes St. Pölten ver¬
anlaßt. Seit drei Jahren wurde in einem Betrieb eine halb-
prozentige Umlage eingehoben und die Hälfte derselben
dem Bau eines Kinderheimes des Vereines „Kinderfreunde"
ohne Widerspruch der Beschäftigten zugeführt. Auch nach
Vollendung des Baues wurden dem Verein dieselben Mittel
überwiesen, weil das Heim von 86 Kindern der im Betrieb
beschäftigten Arbeiter besucht wurde und weil durch Auf¬
stellung einer Aufsichtsperson besondere Kosten zur Er¬
haltung des Heimes erwuchsen.
Von den 280 Beschäftigten fühlten sich im Juli dieses
Jahres 40 Arbeiter durch diese Verwendung der Umlage
beschwert. Sie brachten daher bei dem Einigungsamt den
Antrag ein: „Die Verwendung eines Teiles der Betriebs-
ratsumlage für den genannten Zweck als ungesetzlich zu
erklären und zu verbieten." Das Einigungsamt wies aber
diesen Antrag mit Entscheidung vom 28. Juli 1924 ab. Aus
den Gründen:
„Gegen die Einführung der Umlage mit der Widmung
eines Teiles für das Kinderheim wurde bisher keine An¬
fechtung erhoben. Den nunmehr nach Ablauf von mehr als
drei Jahren beweislos vorgebrachten Einwand, daß die
seinerzeitige Abstimmung nicht entsprechend dem § 18 der
Geschäftsordnung eingeleitet worden sei, findet das Eini¬
gungsamt für unerheblich. Aus dem Vorbringen der Par¬
teien und der Bestätigung der Lokalorganisation ergibt sich
weiter, daß das Kinderheim von einem großen Teil der Ar¬
beiterkinder des gegenständlichen Betriebes besucht wird
und daß dieser Besuch eine Notwendigkeit ist, da
eine andere geeignete Institution nicht besteht, die bekannte
Verwahrlosung der Jugend und die ungünstigen
Wohnungsverhäitnisse aber die Beschäftigung ge-
r a d e der Arbeiterkinder in einem Kinderheim not¬
wendig erscheinen lassen.
Das Kinderheim ist eine Wohlfahrtseinrichtung, die für die
Arbeiterkinder in H., darunter auch für die Kinder der Ar¬
beiterfamilien des Betriebes G„ gewidmet ist. Es ist daher
die Verwendung eines Teiles der Umlage für diese Insti¬
tution im Sinne des S 12, Z. 2, B.-R.-G., gelegen und mußte
das auf Einstellung dieser Verwendung gerichtete Begehren
abgewiesen werden."
Hervorzuheben ist noch, daß politische Gründe gegen
die Verwendung der Umlage nicht vorgebracht wurden.
Wenn wir auch sonst hinsichtlich der Verwendung der Um¬
lage. wie auch bezüglich der Unterstützung des Vereines der
Kinderfreunde aus rein gewerkschaftlichen Gründen unsere
besondere Auffassung haben, so müssen wir dennoch in
solchen Ausnahmsfällen die Entscheidung des Einigungs¬
amtes billigen und die Engherzigkeit eines Teiles der Ar¬
beiterschaft auf das lebhafteste bedauern. Betont sei schlie߬
lich noch die bereits früher vom Obereinigungsamt ent¬
schiedene Streittrage über das Fortwirken des Ein-
hebungsbeschlusses, den sich auch das Einigungsamt zu
eigen machte.
Bei Lohnforderungen der Betriebsräte ist das Gewerbe-
gericht an die Entscheidung des Einigungsatnles gebunden.
So unwichtig manchem dieser Rechtssatz erscheinen mag,
ist er dennoch fiir die Betriebsräte von großer Bedeutung.
Ereignet es sich doch nicht selten, daß die Entlassung
eines Betriebsrates vom Einigungsamt als. ungültig erklärt