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Forderung nach Lohnerhöhung zu entsprechen, weil solche
unerträgliche Lohnerhöhungen zum Zusammenbruch des
Unternehmens führen müssen. Koch me'hr. „Die Industrie"
fordert die Führer des Metallarbeiterverbandes auf, sich
nicht in letzter Stunde von unverantwortlichen Schreiern
beeinflussen zu lassen, dann werden aussichtslose Kämpfe
vermieden und es kann die österreichische Industrie durch
die schwere Krise hindurchgebracht werden.
Genosse Domes, der sich am Verbandstag mit Recht
gegen die Einzelaktionen wendete, die fast immer ohne
Erfolg enden, die Kraft des Verbandes und die Arbeiterschaft
selbst schwächen, wird wohl niemals der Auffassung
gewesen sein, daß seine Rede von den Unternehmern in
dieser Art ausgenützt werden könnte. Domes wollte nichts
anderes erreichen als darzulegen, wie schädlich die Einzel¬
aktionen sind und die Kraft der Organisation und die
Schlagkraft der Arbeiter für entscheidende Kämpfe zur
Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen und zur
Verhinderung angekündigter Verschlechterungen aufge¬
spart werden müsse. So wurde es auch von den Delegierten
zur Kenntnis genommen.
Und nun der Appell an die Führer der Metallarbeiter und
die Aufforderung an die Unternehmerorganisation, unter
keinen Umständen Lohnaufbesserungen zu geben, weil diese
der Ruin der österreichischen Industrie seien. So charakte¬
ristisch diese Aufforderung ist, so unlogisch ist sie gerade
für die Führer der Unternehmer.
Während der Zeit des Krieges, in der Zeit des Mangels
an geeigneten Lebensmitteln, haben sich viele Unternehmer
oft mit Aufwand bedeutender Geldmittel Lebensmittel für
ihre Arbeiterschaft besorgt. Nebenher liefen die gemein¬
samen Aktionen, die Errichtung von sogenannten Lebens¬
mittelverbänden. Je schlechter die Nahrung der Arbeiter,
desto mehr ging die Leistungsfähigkeit im Betrieb zurück
und dies trotz Drohungen des militärischen Leiters, trotz
Einsperrens und Abtransportes an die Front, was in vielen
Fällen gleichbedeutend war mit dem Tode oder vollstän¬
diger Verkrüppelung. Die Körper der Arbeiter, die nicht
genügend genährt wurden, versagten eben den Dienst.
Damals war für alle ersichtlich tatsächlich ein Mangel an
Lebensmitteln, heute ist dieser Mangel vorüber. Nun zu
glauben, daß die Beamten und Arbeiter eine weitere Ver¬
schlechterung ihrer Lebenshaltung ruhig in Kauf nehmen
sollen und werden, ist ein großer Irrtum. Im Nationalrat
treten die Vertreter der Industrie für die Aufhebung des
Mieterschutzes ein, für die Agrarzölle, kurzum für alle Dinge,
die eine wesentliche Verteuerung der Lebenshaltung mit
sich bringen, auf der anderen Seite negieren sie jede
Forderung nach einer Gehalts- oder Lohnerhöhung und
fordern die Unternehmer auf, auch bei Streiks nicht nach¬
zugeben. Die Beamten und Arbeiter sollen wieder hungern,
sollen ihre Lebensexistenz, die ohnehin elend genug ist, noch
weiter verschlechtern lassen.
Selbst wenn diese Politik der Unternehmer Erfolg hätte,
was würde dann eintreten? Eine Zeit des Rückganges der
Arbeitsleistung, die in ihren Wirkungen der Industrie
doppelt und dreifach mehr schädlich wäre als eine aus¬
giebige Lohnerhöhung, und die erst recht die ganze Wirt¬
schaft in Österreich an den Rand des Zusammenbruchs
führen müßte.
Die Belastung der Industrie durch die soziale Gesetz¬
gebung ist eine unerträgliche, es sei unmöglich, den Acht¬
stundenarbeitstag, das Arbeiterurlaubsgesetz usw. auf¬
rechtzuerhalten, so wird behauptet. Kommt aber die Frage
auf die hohen Bankzinsen, dann sind die Herren mit
Argumenten zur Stelle, die den Nachweis erbringen sollen,
daß die Banken nicht anders können, obwohl nachgewiesen
erscheint, daß vorwiegend gerade in dem hohen Zinsfuß
des Leihkapitals die Unmöglichkeit der Konkurrenz mit
dem Ausland liegt. 25 bis 30 Prozent und darüber ist das
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Produkt mit Bankzinsen belastet. Unternehmer, die heute
noch mit eigenem Kapital arbeiten, sind an der Hand zu
zählen, alle müssen sich der Bank bedienen, um den Betrieb
aufrechtzuerhalten. Die Fertigindustrie arbeitet mit höch¬
stens 20 Prozent Lohnkosten vom Werte des Fertig¬
produktes, das heißt, die Lohnkosten sind weitaus geringer
als die Lasten, die ihr durch die Bankzinsen erwachsen.
Demnach würde eine Herabsetzung der Bankzinsen um nur
zwei Prozent eine Erhöhung der Lohnkosten um zehn
Prozent ermöglichen. Dafür zu kämpfen, daß die Bank¬
zinsen herabgesetzt werden, scheint aber den Herren
Industriellen unmöglich. Vielleicht mit Ausnahme einzelner
sind die Herren am Schwarzenbergplatz Angestellte, Direk¬
toren von Unternehmungen, die unter der Vorherrschaft der
Banken stehen. Soweit es sich noch um persönliche Inhaber
von Unternehmungen handelt, sind die Herren teilweise
wieder Verwaltungsräte in den Banken, so daß also die
sonderbare Haltung der Unternehmerorganisation begreiflich
wird.
„Die Industrie" stimmt den Ausführungen des Dr. Bauer
zu, daß das amerikanische Kapital, das nur drei Prozent an
Verzinsung trägt, noch Mißtrauen hat zur Sicherheit einer
Anlage von Geldern in Europa. Daß aber, soweit Österreich
in Frage kommt, gerade unsere Unternehmerorganisation
und die bürgerlichen Zeitungen alles darangesetzt haben,
dieses Mißtrauen nicht nur zu bestätigen, sondern noch zu
fördern, wissen alle objektiven Beobachter. Jedes ordnungs¬
mäßig beschlossene Gesetz, das der Arbeiterschaft und den
Angestellten einen sozialen Fortschritt brachte, wurde .als
ein „Bolschewismus" verschrien, und „Die Industrie"
spricht in dem angezogenen Artikel neuerdings von einem
„verkappten Bolschewismus" der seinerzeitigen Koalitions¬
regierung.
Wenn man ausländisches billiges Kapital von Österreich
fernhalten will, kann man es nicht besser machen als unsere
Industrie und mit ihr die bürgerlichen Zeitungen. Eine
Aktion der Arbeiterkammer mit der Reichsgewerkschafts¬
kommission, die nicht ohne Aussicht auf Erfolg eingeleitet
wurde und die unter anderem der österreichischen Industrie
und dem Handel zirka 300 Milliarden billiges Geld bringen
sollte, wurde in der entscheidenden Sitzung damit abgetan,
daß die 300 Milliarden keine Rolle spielen und die Begebung
von Industrieobligationen nicht ins Auge gefaßt werden
könne, weil die Industrie die Verzinsung nicht garantieren
könne. Nicht die hohen Bankzinsen seien entscheidend,
sondern die soziale Gesetzgebung, Achtstundenarbeitstag,
Arbeiterurlaubsgesetz usw.
In den Konkurrenzländern, mit Ausnahme von Deutsch¬
land, hat die Industrie für das Leihkapital acht bis zehn
Prozent Zinsen zu zahlen, um rund 15 Prozent weniger.
Das spielt also keine Rolle, obwohl in diesen Ländern die
soziale Gesetzgebung der österreichischen nur wenig nach¬
steht, Löhne und Gehälter aber unverhältnismäßig höher
sind.
Die Herren irren sich sehr stark im Inhalt der Ausfüh¬
rungen des Vorsitzenden des Metallarbeiterverbandes. Was
Domes erreichen wollte und erreicht hat, ist die Einheitlich¬
keit der Aktionen, die Verhinderung von Teilstreiks, die
keinen Erfolg bringen können. Die Schlußausführungen des
Artikels in der „Industrie" zeigen deutlich, daß der Ver¬
bandstag, der den Ausführungen Domes zustimmte, auf dem
rechten Weg war, und daran ändert auch die Tatsache
nichts, daß eine objektive, die Tatsachen feststellende Rede
von den Unternehmern zur neuerlichen Scharfmacherei
benützt wird.
Oder meinen die Unternehmer wirklich, daß die Beamten
und die Arbeiter all die erwähnten Lasten ohne jede Erhöhung
der Gehälter und Löhne ertragen werden? Es fällt wirkfich
schwer, dies zu glauben. Wenn es aber so ist, dann hat der
Verbandstag gute Arbeit geleistet, er hat sich auf die zu
erwartenden Kämpfe eingestellt.