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Die Arbeitsinspektion als vollziehende Behörde ist ebenfalls in den letzten Jahren zusehends
geschwächt worden. Auch beim größten sozialen Unfallversicherungsträger, der AUVA, die
eine weitere wichtige Organisation im Bereich der Prävention am Arbeitsplatz darstellt, sind
die Ressourcen deutlich reduziert worden.
All dies wirkt der von Artikel 3 geforderten Stärkung des Rechts in Bezug auf Sicherheit und
Gesundheit am Arbeitsplatz entgegen.
Absatz 2
Absatz 2 zielt auf Regelungen zur Eindämmung gesundheitlicher Belastungen und Schäden
im Zusammenhang mit der Arbeit ab. Bei deren Ausgestaltung ist es essentiell, dass die ar-
beitsweltlichen Veränderungen entsprechende Berücksichtigung finden. Strukturelle Verände-
rungen (Deindustrialisierung) haben zu einer deutlichen Verschiebung arbeitsbedingter Belas-
tungen und Erkrankungen hin zu psychischen Belastungen geführt.
Gemäß Übereinkommen 155 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über Arbeitsschutz
und Arbeitsumwelt sind Belastungen und Schäden zu verhüten, indem die mit der Arbeitsum-
welt verbundenen Gefahrenursachen, soweit es möglich ist, minimiert werden. Nun ist dieses
„Arbeitsumfeld“ selbst transformativ (bspw: verstärkte globale Produktionsketten, Telearbeit,
erodierende Grenzlinien zwischen Privatem und Beruflichem).
Ein zentrales Problem des Umgangs mit psychischen Belastungen im betrieblichen Kontext
besteht darin, dass das Arbeitsumfeld auf den unmittelbaren Arbeitsplatz beschränkt wird. So
werden Belastungen ausgeblendet, die sich gerade nicht im gesonderten betrieblichen Areal
des Arbeitsplatzes erheben lassen, sondern indirekt auftreten, bspw im Zwischenraum privater
und dienstlicher Tätigkeiten (dort, wo etwa die „Vereinbarkeitsproblematik“, aber auch Sucht-
und Gewaltproblematiken etc zu lokalisieren wären). ArbeitnehmerInnenschutzrechtliche
Bemühungen müssten diesen Aspekt reflektieren, und zwar in Form rechtlicher Schranken
(bei mobiler Arbeit, Erreichbarkeit etc) sowie in Form eines angemessenen betrieblichen In-
strumentariums der Erhebung und Maßnahmensetzung (Evaluierung).
Absatz 3
In Österreich gab es laut Tätigkeitsbericht der Arbeitsinspektion im Jahr 2018 62.405 Über-
prüfungen durch die Arbeitsinspektion, wobei bei 44,3 % dieser Kontrollen Übertretungen von
ArbeitnehmerInnenschutzvorschriften festgestellt wurden. Insgesamt wurden knapp 95.000
(exakt 94.906) Übertretungen festgestellt, aber nur 934 Strafanzeigen beantragt. Das ent-
spricht einem Anteil von gerade einmal 1 %. Nur mehr auf jede
100. Übertretung folgt also eine Strafanzeige. Von einem „abschreckenden Sanktionssystem“,
wie es seitens der Charta dezidiert gefordert wird, ist das österreichische Kontrollsystem damit
weit entfernt. Das ist aus arbeitnehmerInnenschutzrechtlicher Sicht höchst bedenklich. Denn
klar ist, dass nur wirksame Strafwahrscheinlichkeiten und Sanktionsandrohungen vor Über-
tretungen und Missachtungen schützen. Die europaweite Unternehmerbefragung ESENER
(European Survey of Enterprises on New and Emerging Risks) hat gezeigt, dass Arbeitgebe-