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und steuerliche Familienleistungen, wie der Kinderabsetzbetrag, geringer aus. Von der Rege-
lung betroffen sind in Österreich Erwerbstätige, die aufgrund der VO 883/2004 dem Grunde
nach Anspruch auf Familienbeihilfe aus Österreich haben – nunmehr aber eben in indexierter
Höhe. Diese Regelung wird von vielen ExpertInnen und auch von der Europäischen Kommis-
sion als EU-rechtswidrig (primärrechtliche Arbeitnehmerfreizügigkeit und Diskriminierung aus
Gründen der Staatsangehörigkeit sowie sekundärrechtliche VO 492/2011, VO 882/2004, VO
987/2009) erachtet. Mittlerweile ist auch der EuGH mit der Sache befasst (Rs C-163/20). Der
von der Europäischen Sozialcharta geforderten Gleichbehandlung dürfte die derzeitige Rege-
lung wohl nicht entsprechen.
In Zusammenhang mit Familienleistungen ist zudem kritisch anzumerken, dass sich Verfahren
zur Gewährung von Kinderbetreuungsgeld als Ausgleichszahlung („Unterschiedsbetrag“) iSd
Art 68 Abs 2 der VO 883/2004 häufig massiv in die Länge ziehen und Eltern, von denen zu-
mindest ein Teil in einem anderen EU-Staat lebt oder arbeitet, deshalb immer wieder mona-
telang ohne Leistung bleiben – auch hier liegt eine Ungleichbehandlung vor, die schwer mit
Art 12 Abs 4 der Charta und den Verordnungen zur Koordinierung der Sozialsysteme in der
EU vereinbar sein wird.
Bereits anlässlich des Österreich-Berichts 2013 und 2017 hatte der Ausschuss kritisiert, dass
Österreich keineswegs mit allen Vertragsstaaten der Charta bi- oder multilaterale Verträge zur
sozialen Sicherheit unterhält.
Keine Abkommen gab es mit Albanien, Andorra, Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Russ-
land und der Ukraine. Trotz dieser Kritik hat sich die Lage seit 2017 kaum verändert. Lediglich
mit Albanien wurde mittlerweile ein Abkommen geschlossen (Abkommen zwischen der Repu-
blik Österreich und der Republik Albanien über soziale Sicherheit, BGBl III 2018/154 idF BGBl
III 2018/158).
Hinsichtlich aller anderen genannten Staaten ist dagegen nach wie vor nicht gewährleistet,
dass dort zurückgelegte Versicherungs- und Beschäftigungszeiten auf Anwartschaften für ös-
terreichische Leistungen, etwa Pensionsleistungen oder Leistungen aus der Arbeitslosenver-
sicherung, angerechnet werden. Das steht im Widerspruch zu den Anforderungen der Charta.
Die österreichische Krankenversicherung ist stets an Leistungsansprüche (wie Arbeitslosen-
geld, Mindestsicherung, Kinderbetreuungsgeld, Pensionsleistungen etc) oder eine Er-
werbstätigkeit (wenn der Verdienst über der Geringfügigkeitsgrenze liegt) geknüpft. Sind die
zu Grunde liegenden Ansprüche strittig, müssen sich die Betroffenen bis zur Entscheidung
der Versicherungsträger/Behörden selbst versichern. Knüpft diese Selbstversicherung nicht
direkt an eine Pflichtversicherung, gibt es eine Wartezeit von sechs Monaten auf Leistungen.
Durch die sogenannten Schutzfrist-Regelungen im Sozialversicherungsrecht sollen Kranken-
versicherungslücken minimiert werden. So hat eine erwerbstätige Person beispielsweise nach
dem Ende einer Beschäftigung noch weitere sechs Wochen Anspruch auf Leistungen aus der
Krankenversicherung. Diese Schutzfrist bzw der damit verbundene Leistungsanspruch wird
allerdings beendet, wenn sich die Person ins Ausland begibt. Diese Einschränkung gilt nur