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Da die Fragestellungen in der Konsultation die Problematik bei den unterschiedlichen Formen
von Selbständigen nur teilweise abbilden, erlaubt sich die BAK einige ergänzende
Anmerkungen abzugeben, die in diesem Schreiben im Detail vorgestellt werden.
Plattformarbeiter*innen: Arbeitskräfte ohne Rechte
Es ist empirisch belegt, dass gerade in der Online-Plattformwirtschaft die Grauzonen zwischen
abhängiger und schein-/solo-selbständiger Beschäftigung größer werden.
Plattformbeschäftigte fallen dadurch häufig aus dem Geltungsbereich des Arbeitsrechts und
es mangelt ihnen an sozialer Sicherheit. Die Schein-/Solo-Selbständigkeit hat zur Schaffung
einer neuen Gruppe von Arbeitskräften geführt, nämlich „Arbeitnehmer*innen ohne Rechte“:
Für sie besteht kein Anspruch auf einen Auftrag oder auf bezahlten Urlaub, Arbeitsmaterial
muss in der Regel selbst bezahlt werden und die Absicherung im Fall von Unfall oder Krankheit
muss selbst besorgt werden. Zudem fehlt es an einer Arbeitslosenversicherung für die meisten
Plattformarbeiter*innen auf EU-Ebene. Plattformarbeiter*innen haben auch kaum die
Möglichkeit sich grenzüberschreitend organisieren. Nationale Mindestentgeltbestimmungen
gelten nicht, Kollektiv- bzw Tarifverträge kommen nicht zur Anwendung bzw konnten bisher
aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht verhandelt werden. All das unterstreicht die
Notwendigkeit einer Regulierung der Arbeitsbedingungen von Plattformarbeiter*innen auf
europäischer Ebene.
Der EuGH hat in der Rechtssache Albany (C-67l96 RN 59) Tarifverträge dem
Anwendungsbereich des Kartellrechts entzogen, weil durch dessen Anwendung die mit
derartigen Verträgen angestrebten sozialpolitischen Ziele ernsthaft gefährdet wären, auch
wenn Tarifverträgen zwangsläufig eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung beizumessen ist.
Die Ausnahme vom Kartellrecht für Tarifverträge hat der EuGH jedoch Jahre später im Fall
eines Tarifvertrags für Selbständige in der Rechtssache FNV (C-413l13) abgelehnt. Diese
Rechtsprechung stammt jedoch noch aus einer Zeit, als Plattformarbeit durch meist (Schein-
)Selbständige noch nicht im selben Ausmaß wie heute verbreitet war. Es ist unbestritten, dass
Plattformarbeiter*innen, unabhängig von ihrer vertraglichen Einordnung als Selbständige, in
der Regel die gleiche Schutzbedürftigkeit haben wie Arbeitnehmer*innen. Würde in diesen
Fällen das Kartellverbot greifen, so könnten Mindestlöhne und andere sozialpolitische Ziele
für Plattformarbeiter*innen, die diese Tätigkeit selbständig ausüben, über Tarifverträge nicht
erreicht werden. Art 151 AEUV, welcher die Förderung der Beschäftigung und die
Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen als Ziele der Europäischen Union
definiert, kann unseres Erachtens auch zur Begründung von Tarifverträgen für Solo-
Selbständige und andere arbeitnehmer*innenähnliche Personen herangezogen werden und
eine Ausnahme vom Kartellverbot rechtfertigen.
Der EuGH hat zudem bereits festgestellt, dass für Scheinselbständige, das heißt
Leistungserbringer*innen, die sich in einer vergleichbaren Situation wie Arbeitnehmer*innen
befinden, Tarifverträge in Konformität mit dem Wettbewerbsrechts abgeschlossen werden
dürfen (Rechtssache FNV, RN 31). Damit sollte zumindest das EU-Wettbewerbsrecht
Kollektivverträgen für die in Österreich für Plattformen wie Lieferando, Mjam, etc tätigen freien