Vorwort
Auch wenn das Leitbild der Nachhaltigkeit besonders intensiv im Kontext mit Umweltpolitik
diskutiert wird, geht es weit über diesen Politikbereich hinaus. Die am häufigsten zitierte
Definition der nachhaltigen Entwicklung wurde von der Brundtland-Kommission aufgestellt.
Das zentrale Element dieses Nachhaltigkeitsansatzes ist Verteilungsgerechtigkeit. Sie
umschreibt Nachhaltigkeit als einen Entwicklungsprozess, der einen Ausgleich in folgenden
drei Relationen anstrebt:
• zwischen menschlichen Bedürfnissen und der Leistungsfähigkeit der Natur
(Vernetzungsproblematik),
• zwischen den Bedürfnissen der gegenwärtigen und der künftigen Generationen
(intergenerationale Gerechtigkeitsproblematik) und
• zwischen den Bedürfnissen der Armen und der Reichen (intragenerationale
Gerechtigkeitsproblematik).
Davon ausgehend leitet sich insbesondere aus der intragenerationalen
Gerechtigkeitsforderung ein Gleichgewicht von Ökologie, Ökonomie und Sozialem ab,
wobei beim Sozialen nicht (nur) die Einkommensverteilung im Mittelpunkt steht, sondern
die Vision eines menschenwürdigen Lebens. Damit sind auch Fragen der Verteilung
gesellschaftlicher Belastungen, Rollenverteilungen, Verteilung von Arbeit und
Arbeitslosigkeit oder Fragen der Chancengleichheit angesprochen.
Diese Gleichrangigkeit der drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökonomie, Ökologie,
Soziales – ist auch international Stand der Debatte, zumindest in den Vorworten vieler
einschlägiger Arbeiten.
In der Praxis der Nachhaltigkeitsdiskussion wird jedoch Ökologie als zentrales Element
verstanden, und es entsteht der Eindruck, als ob die Verfolgung ökologischer
Rahmenbedingungen (z.B. Nachhaltigkeitsgrenzen bezüglich des Schadstoffausstoßes
oder des Verbrauchs von Ressourcen) bereits die Grundlage einer sozial gerechten,
lebenswerten und auch arbeitsmarktpolitisch heilen Welt verspräche.
Auf Grund der immensen Herausforderungen und Veränderungsnotwendigkeiten, die mit
einer Umorientierung in Richtung einer „Nachhaltigen Entwicklung“ verbunden sind, muss
jede Politik, die die soziale Dimension vernachlässigt, an den erzeugten Spannungen und
Konflikten scheitern. Ohne integrierte soziale Dimension ist Nachhaltigkeit nicht machbar.
Thomas Ritt
Bundesarbeitskammer