20 infobrief eu & international Ausgabe 2 | Mai 2015
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kann, muss man sich mit den Wider-
sprüchen und Bruchlinien im neoli-
beralen Reformbündnis auseinander-
setzen.
In den letzten Monaten sind diese
Bruchlinien zumindest kurzfristig
und ansatzweise aufgeschienen. So
ließen Christine Lagarde und Jean-
Claude Juncker erkennen, dass sie
zu Zugeständnissen an die Regie-
rung in Griechenland bereit wären.
Selbst der Präsident der USA sprach
sich mit Hinblick auf die Weltwirt-
schaft für Investitionen und Wachs-
tum in Griechenland aus. Zumindest
vorsichtig unterstützt wird diese
Fraktion von EU-Staaten wie Italien
und Frankreich.
Demgegenüber stehen die Hardliner
im neoliberalen Reformbündnis, die
zu keinerlei Kompromissen bereit
sind: die deutsche Bundesregierung,
die „nordischen“ Finanzminister mit
Jeroen Dijsselbloem, dem Vorsitzen-
den der Eurogruppe, an ihrer Spitze,
einige der osteuropäischen Mitglieds-
staaten wie Litauen und vor allem
jene konservativ geführten EU-Staa-
ten (Irland, Portugal und Irland), die
selbst brutale Kürzungsprogramme
umgesetzt haben.
Wie lässt sich das neoliberale
Projekt am besten retten? n Diese
Bruchlinien im neoliberalen Reform-
bündnis lassen sich sicherlich nicht
damit erklären, dass Teile seiner Ak-
teure sich vom neoliberalen Projekt
abgewendet hätten. Vielmehr gibt es
unterschiedliche Auffassungen da-
rüber, wie die in die Krise geratene
neoliberale Integration am besten
abzusichern und zu retten ist.
Für Kompromisse mit der neuen Re-
gierung in Griechenland sprechen vor
allem drei objektive Problemlagen:
1. Die Krise in der Eurozone ist al-
les andere als beendet. Vielmehr
hat sie sich in einen Schwelbrand
aus Deflation und leichter Rezes-
sion transformiert, der sich schon
durch kleine Ereignisse wieder voll
entzünden könnte. Vor diesem
Hintergrund erscheint selbst aus
neoliberaler Perspektive ein geziel-
ter Nachfrageschub durch punktu-
elle Zugeständnisse sinnvoll.25
Will man verstehen,
warum es noch nicht
völlig ausgeschlossen
ist, dass ein Kompro
miss erreicht werden
kann, muss man sich
mit den Widersprüchen
und Bruchlinien im neo
liberalen Reformbündnis
auseinandersetzen.
1) Kaske zu Wahlen in Griechenland:
Griechische Bevölkerung hat sich
gegen Austeritätspolitik entschieden,
OTS-Aussendung vom 25.1.2015.
2) DGB-Chef zu Griechenland-Politik:
"Das Ergebnis einer Gehirnwä-
sche", Der Spiegel v. 8.1.2015.
3) Robert Misik, Syriza-Bashing: Ein
Versuch, den deutschen Irrsinn zu
verstehen, http://misik.at/2015/02/
syriza-bashing-ein-versuch-den-deut-
schen-irrsinn-zu-verstehen/(5.5.2105).
4) Euro-Kollegen beschimpfen Varoufakis
auf Ministertreffen, FAZ v. 24.4.2015.
5) EVP-Fraktionschef fordert Reformen
von Tsipras, Die Welt v. 9.4.2015.
6) Tassos Giannitsis/Stavros Zografa-
kis, Greece: Solidarity and Adjust-
ment in Times of Crisis, 3/2015
7) Griechenland-Hilfe vor allem an Ban-
ken und Reiche http://www.faz.net/
aktuell/wirtschaft/eurokrise/griechen-
land/europas-schuldenkrise-griechen-
land-hilfe-vor-allem-an-banken-und-
reiche-12224468.html (5.5.2105).
8) Siehe Fn. 6.
9) ec.europa.eu/eurostat/de (5.5.2105).
10) Lukas Oberndorfer, A New Economic
Governance through Secondary Legislati-
on?, in Bruun, Lörcher, Schömann (Eds)
The Economic and Financial Crisis and
Collective Labour Law in Europe (2014)
11) Andreas Fischer-Lescano, Austeritäts-
politik und Menschenrechte, Rechts-
gutachten im Auftrag der AK (2014).
12) Schlussanträge v. 14.1.2015,
Rs C-62/14, Gauweiler et al ge-
gen deutscher Bundestag.
13) Alex Demirovic / Thomas Sablowski,
Finanzdominierte Akkumulation und
die Krise in Europa, in Atzmüller et.
al., Fit für die Krise? (2013) 187
14) Stephen Burgen, Intview with Tho-
mas Piketty, Guardian v. 12.1.2015.
15) Greek Government Programme,
http://bit.ly/1F3LFtC (5.5.2105).
16) Ebd.
17) Die Eurogruppe hat formal eigentlich
keine Beschlusskompetenz. Allerdings
sitzen in der Eurogruppe auch jene
Finanzminister, welche im Rahmen der
jeweiligen Rettungsschirme – z. B. dem
Gouverneursrat des Europäischen Stabi-
litätsmechanismus – zur Genehmigung
der Auszahlung der Gelder berufen sind.
18) Holger Steltzner, Versprochen – ge-
brochen, FAZ v. 25.2.2015.
19) http://www.consilium.europa.eu/en/
press/press-releases/2015/02/150220-
eurogroup-statement-greece (5.5.2105).
20) Stefan Ederer, EZB erpresst Griech-
land und gefährdet die Währungsunion,
http://mosaik-blog.at/ezb-erpresst-
griechenland-und-gefaehrdet-damit-
die-waehrungsunion/ (5.5.2105).
21) Greece, Needs to start play-
ing hardball with Germany, For-
eign Policy v. 10.4.2015.
22) Das verspricht Griechen-
land, FAZ v. 24.2.105.
23) http://im.ft-static.com/content/
images/55b27a7e-d87c-11e4-ba53-
00144feab7de.pdf (5.5.2105).
24) Im rechtsfreien Raum – Interview mit
Theodoros Paraskevopoulos, Berater
der griechischen Regierung, http://fm4.
orf.at/stories/1758238/ (5.5.2105).
25) Siehe dazu ausführlich Markus Marter-
bauer/Lukas Oberndorfer, Vom sozial-
ökologischen Umbruch, der ansteht, aber
nicht eintritt – Die Verselbständigung
neoliberaler Wirtschaftspolitik in der EU,
infobrief eu & international 4/2014, 1.
Griechenland: Kompromiss in letzter Minute?
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