23 infobrief eu & international Ausgabe 2 | Mai 2015
wien.arbeiterkammer.at
Die akute Gefahr,
dass der Euroraum in
eine länger
anhaltende Phase
makroökonomischer
Deflation gerät, ist eine
Folge der beschriebenen
wirtschaftspolitischen
Ausrichtung.
Buchbesprechung
stärkter wirtschaftspolitischer
Abstimmung dar.
Doch in substanzieller Hinsicht ist
die Wirtschaftspolitik der EU und
des Euroraums noch stärker inkon-
gruent mit der empirisch erhärteten
Tatsache, dass die Entwicklung der
gesamtwirtschaftlichen Nachfrage in
der Eurozone insgesamt lohngetrie-
bener ist, als dies vor Ausbruch der
Finanz- und Wirtschaftskrise der Fall
war. Aus postkeynesianischer Sicht
basiert diese Wirtschaftssteuerung
also auf einer Fehldiagnose.
Die Wirtschaftspolitik in der EU ist
substanziell erstens noch mehr als
bisher auf die Verminderung der De-
fizite der öffentlichen Haushalte und
der Staatsverschuldung fixiert, wo-
bei in diesem Zusammenhang aus-
gabenseitige Kürzungen auch die öf-
fentlichen Investitionen einschließt,
die eingefordert, ja erzwungen wer-
den.
Die zweite Komponente der Wirt-
schaftspolitik ist die Verbesserung
der preislichen Wettbewerbsfähig-
keit durch Senkung der Arbeitskos-
ten. Und die dritte Komponente sind
die altbekannten marktorientierten,
strukturellen Reformen neoklassi-
scher Prägung, insbesondere im Ar-
beitsmarktbereich (Deregulierung,
Flexibilisierung), aber auch verstärkt
in der Lohnpolitik. Das Brechen der
Lohnsetzungsmacht der Gewerk-
schaften wird in diesem Kontext von
der EU-Kommission offen angespro-
chen.
Hauptergebnisse der Austeritäts-
politik n Was sind die Hauptergeb-
nisse dieser Konsolidierungspolitik?
Das Gesamt-BIP der Eurozonenlän-
der lag 2013 noch 4 % unter dem Ni-
veau von 2008. Nur in wenigen EU-
Ländern erreichte oder übertraf das
BIP 2013 das Vorkrisenniveau. Die
durchschnittliche Arbeitslosenrate
stieg stark an und verharrt auf ho-
hem Niveau. Als geradezu dramatisch
sind die Erhöhungen von Jugend-
und von Langzeitarbeitslosigkeit zu
bezeichnen. Die Reallöhne sinken
seit 2010 in den meisten Ländern,
und die Ungleichheit nimmt weiter
zu. Selbst das unmittelbare Ziel, die
Staatsschulden in Relation zum BIP
zu senken, wurde bisher verfehlt:
Buch-Tipp
Weil die Kürzung der Staatsausgaben
eine noch stärkere Schrumpfung des
BIP zur Folge hatte, stieg die Staats-
schuldenquote in vielen EU-Ländern.
Dieser aus den drei genannten Kom-
ponenten bestehende wirtschaftspo-
litische Kurs ist also kurzfristig dys-
funktional und trägt darüber hinaus
längerfristig nicht einmal annähernd
dazu bei, die Kernprobleme der EU
und der Eurozone zu lösen. Es er-
folgt kein einziger Schritt in Richtung
auf eine Wirtschaftspolitik, die zur
Kenntnis nimmt, dass die Nachfra-
geentwicklung in der Eurozone lohn-
getrieben ist.
Die konjunkturelle Stabilisierung
wird vernachlässigt. Die restriktive,
prozyklische Fiskalpolitik, insbeson-
dere die radikale Austeritätspolitik
in den Krisenländern war dafür ver-
antwortlich, dass die europäische
Wirtschaft 2012 in eine zweite Re-
zession geriet. Und die europaweite
Fortsetzung des Austeritätskurses,
von dem insbesondere die Bereiche
Gesundheits- und Sozialpolitik sowie
die öffentlichen Investitionen betrof-
fen sind, beeinträchtigt die Chancen
auf eine schnelle konjunkturelle Er-
holung.
Die akute Gefahr, dass der Euroraum
in eine länger anhaltende Phase ma-
kroökonomischer Deflation gerät, ist
eine Folge der beschriebenen wirt-
schaftspolitischen Ausrichtung.
Wer sich über die nationalen Arbeits-
beziehungen in der Wirtschaftskrise,
den neuen EU-Interventionismus
in der Lohnpolitik, die prozyklische
Wirtschaftspolitik der EU und deren
soziale und wirtschaftliche Folgen,
insbesondere auch in den von der
Troika finanziell unterstützten Län-
dern, ein umfassendes und gleichzei-
tig nuanciertes Bild machen will, dem
sei der vorliegende Band wärmstens
empfohlen.
Michael Mesch n AK Wien
michael.mesch@akwien.at
Spaltende Integration.
Der Triumph gescheiterter Ideen – revisited.
Zehn Länderstudien, Steffen Lehndorff (Hg.),
VSA-Verlag, Hamburg 2014, 348 Seiten, € 24,80
Zum Herausgeber:
Steffen Lehndorff ist Sozialforscher am Institut für Arbeit und Qualifikation an der
Universität Duisburg-Essen. Seine Forschungsarbeit umfasst u. a. die Verände-
rung von Arbeitszeit- und Beschäftigungsstrukturen auf EU- und internationaler
Ebene.
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