2 infobrief eu & international Ausgabe 3 | Juli 2015
wien.arbeiterkammer.at
Dass es keine wesentlichen Reform-
schritte seit dem letzten Bericht
gab, ist durchaus positiv, stellte
er doch nach Einschätzung der AK
„keine geeignete Grundlage für eine
dringend notwendige Neuausrich-
tung der WWU“1 dar, weil er auf eine
Verfestigung der Spar- und Wettbe-
werbsunion abzielte. Ein Kurswech-
sel hin zu einer wohlstandsorien-
tierten Wirtschaftspolitik mit dem
Schwerpunkt auf Abbau der Arbeits-
losigkeit, soziale und ökologische
Investitionen und Absicherung des
Sozialstaates mit seiner nachfrage-
stabilisierenden Wirkung wäre bei
einer Umsetzung erschwert worden.
Diese prinzipielle Kritik ist leider
auch auf den neuen Bericht weitge-
hend übertragbar.
Wettbewerbsfixierung als Haupt-
element n Die Präsidentenvorschlä-
ge gliedern sich inhaltlich wie bisher
in die vier Säulen Banken- und Ka-
pitalmarktunion, Wirtschaftsunion,
Fiskalunion und politische Union. Fo-
kussiert wird auf rasch umsetzbare
Maßnahmen (bis 2017), allerdings
werden auch weitreichendere Vor-
schläge für eine Umgestaltung der
Economic Governance inklusive Ver-
tragsänderungen bis 2025 erläutert,
die zu einer Vollendung einer echten
WWU führen soll.
Im Kern wird wie bereits im heuri-
gen Jahreswachstumsbericht eine
angebotsseitige wirtschaftspolitische
Ausrichtung verfolgt. Durch bes-
sere Finanzierungbedingungen der
Unternehmen (Kapitalmarktunion)
in Kombination mit einem wettbe-
werbsorientierten Umbau der staat-
lichen Regulierung (Wirtschaftsuni-
on) sowie der öffentlichen Haushalte
(Fiskalunion) soll ein neuer export-
getriebener Wirtschaftsaufschwung
erreicht werden. Dieser Ansatz wird
jedoch spätestens seit der Rezession
1992/1993 bzw. dem darauf folgen-
den Weißbuch der EU-Kommission
„Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit,
Beschäftigung“ verfolgt2 und ist da-
mit alles andere als neu.
Vor diesem Hintergrund sind die vor-
geschlagenen Maßnahmen nur be-
dingt überraschend. Verschoben hat
sich lediglich die Akzentuierung. So
sollen wettbewerbsorientierte Struk-
turreformen verschärft durchsetzbar
gemacht werden, während eine an-
satzweise Lockerung der Finanzpoli-
tik angedeutet wird.
Wichtigste kurzfristige Neuerungen
sind:
n „unabhängige“ nationale Wettbe-
werbseinrichtungen analog zu Fis-
kalräten zwecks Erhöhung des Re-
form- und Lohndrucks – insb. durch
„Richtschnur“ für Tarifverhandlun-
gen,
n eine Verschärfung des Verfahrens
bei makroökonomischen Ungleich-
gewichten bzw. dessen Ausdehnung
auf die Wirtschaftspolitik allgemein
nach Gutdünken von Kommission
und Rat,
n ein europäischer Fiskalausschuss
zur Erhöhung des Drucks auf EU-
Kommission und Rat, deren Aus-
wirkung vor allem von seiner Be-
setzung abhängen dürfte
Löhne geraten verstärkt ins
Visier n Die drängendsten wirt-
schaftspolitischen Probleme – wie
insbesondere die nach wie vor sehr
hohe Arbeitslosigkeit sowie die Ver-
teilungsschieflage – werden damit
nicht nur nicht gelöst, sondern sogar
verschärft. Das gilt insbesondere für
die Lohnpolitik, wo die einseitige Ori-
Reformvorschläge der fünf Präsidenten
Das bisherige Auf-
schieben war positiv,
da die Berichte keine
geeignete Grund lage
für Neuausrichtung
darstell(t)en.
entierung nach unten verstärkt wer-
den soll. So wird im Bericht vorge-
schlagen, von einer verteilungs- und
preisneutralen Lohnpolitik durch die
Sozialpartner abzurücken. Zu die-
sem Zweck soll zum einen die Lohn-
kostenentwicklung stärker an jene
in den wichtigsten Exportländern
angeglichen werden. Eine schlechte
Lohnentwicklung in einem Land, wie
das vor der Krise insbesondere in
Deutschland und nun in den Krisen-
staaten der Fall ist, würde dann alle
anderen nach unten ziehen. Als In-
terventionsinstrument sollen – an-
gelehnt an die nationalen Fiskalräte
zur Durchsetzung der Austeritäts-
politik – unabhängige sogenannte
nationale Wettbewerbseinrichtun-
gen dienen, die Richtschnüre für die
Tarifverhandlungen erstellen sollen.
Das würde einen Tabubruch dar-
stellen, der dadurch kaschiert wird,
dass der Eingriff in die Tarifautono-
mie „nur“ indirekt erfolgt.
Wirtschaftspolitische Konsequenz
wäre eine weitere Schwächung der
Löhne, obwohl sich diese bereits
seit Bestehen der Eurozone insge-
samt schlecht entwickelt haben.3 So
blieb die Lohnstückkostenentwick-
lung in der Eurozone vor der Krise
(2007) kumuliert um gut 3 % unter
ihrem preis- und verteilungsneutra-
len Spielraum zurück. Nachdem in
der Krise die Produktion in der Regel
stärker einbricht als die Lohnsumme,
gab es zwar 2009 ein überschießen-
des Moment, das jedoch durch eine
noch stärkere Unterausschöpfung in
den Jahren danach mehr als ausge-
glichen wurde. Im Endeffekt ergab
sich 2014 gegenüber 1998 eine »
»
Trotz Misserfolg wird
die angebots seitige
wirtschaftspolitische
Ausrichtung
weiterverfolgt.