Ab 18 Jahren ist der Entscheidungsprozess der Berufswahl noch nicht
abgeschlossen. Diejenigen, die sich für ein Studium entscheiden, müssen erst einen
Platz sowie Gefallen am Studium und schließlich eine entsprechende Beschäftigung
finden. Nicht wenige ausgebildete Lehrlinge aber auch SchülerInnen sowie
StudentInnen müssen sich früher oder später neu orientieren.
Gespräche mit TeilnehmerInnen von Schulungsmaßnahmen des AMS haben alle
einen gemeinsamen Nenner. Fast alle Beteiligten weisen keine abgeschlossene
Berufsausbildung vor beziehungsweise arbeiten aus unterschiedlichen Gründen
nicht mehr im erlernten Beruf. Die meisten GesprächspartnerInnen übten vor ihrer
Umschulung unqualifizierte Tätigkeiten aus und mussten dabei schlechte
Arbeitserfahrungen machen.
Der Großteil der Schülerinnen und Schüler und vor allem ihre Eltern wissen über
diesen Zusammenhang Bescheid, weswegen sie möglichst hohe Schulabschlüsse
anstreben. Eine Hilfsarbeit steht bei ihnen jedenfalls nicht auf dem Wunschzettel
eines zukünftigen Berufes, weil sie über die damit verbundenen Konsequenzen
unterrichtet sind. Eine jahrzehntelange Helfer- oder Anlerntätigkeit führt zu
gesundheitlichen Verschleißerscheinungen und zur beinharten Aussage von
Arbeitgebern: „Wenn du krank bist, brauch ma di net“.
Die Entscheidung, eine neue Berufsausbildung zu machen oder eine angefangene
abzuschließen, ist überwiegend auf die bereits gemachten Erfahrungen in der
Arbeitswelt zurückzuführen. Die knapp zweijährigen Schulungen werden in Kauf
genommen, um bessere Arbeitsbedingungen und neue Perspektiven am
Arbeitsmarkt zu erlangen, die zuvor aus unterschiedlichen Gründen abhanden
gekommen sind. Die Berufswahl ist längst nicht mehr bloß eine Angelegenheit von
Jugendlichen, sondern zu einem fixen Bestandteil vieler Berufskarrieren geworden
(vgl. Kapitel 7).
Jugendliche mit Migrationshintergrund werden im Bezug auf ihre Berufswahl oft
enttäuscht, sie müssen ihre Berufswünsche Schritt für Schritt zurücknehmen und
andauernd Abstriche an ihren beruflichen Zielen vornehmen. Für eine Gesellschaft
sind junge, enttäuschte Menschen kein Gewinn. Der wichtige Auftrag der Politik, für
das Wohlbefinden weiter Teile der Bevölkerung zu sorgen, wird bei Jugendlichen mit
Migrationshintergrund vernachlässigt. Bereits im Schulsystem wird ihnen eine
untergeordnete gesellschaftliche Rolle zugeteilt.
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