Arbeit&Wirtschaft 4/201310 Interview
sie neue Probleme, weil man größere
Kopfzahlen auch aufwendiger koordi-
nieren muss. Wir haben in den vergan-
genen Jahren ja auch über Bereiche wie
Reinigungsgewerbe und Pflege ge-
forscht. Da spielen übrigens ziemlich
banale neue Technologien eine relativ
zentrale Rolle, nämlich Mobiltelefone.
Kurzfristige Einsätze, Umdisponie-
rungen oder geteilte Schichten lassen
sich einfach per Handy koordinieren –
das macht es möglich, mehr Leute kurz-
fristiger einzusetzen, erhöht aber auch
den Arbeitsdruck auf die Beschäftigten
enorm. ObjektleiterInnen im Reini-
gungsgewerbe z. B. hängen teilweise
wirklich von morgens früh bis abends
spät am Telefon.
Ich weiß nicht, wie man das früher
organisiert hat, da gab es noch nicht so
viele ausgesourcte Reinigungsfirmen.
Das sind so Technikwirkungen im Zu-
sammenhang mit Organisationsformen,
mit Flexibilisierungen. Da kann man
nicht sagen, das macht jetzt nur die
Technik, das macht nicht die Technik.
In der Pflege zum Beispiel, wenn die
Leute per Organizer oder Smartphone
eingesetzt werden, ist die Technik oft
weniger das Problem, als die Zeitvorga-
be. Man kontrolliert dabei wahrschein-
lich weniger, was wirklich an Arbeit ge-
leistet wird, sondern die Zeitvorgaben.
Und die Beschäftigten haben das Pro-
blem, das, was sie real tun, was zu erledi-
gen ist, irgendwie mit den Dokumenta-
tionsanforderungen abzustimmen. Die
menschliche Kreativität, die so ein Beruf
tatsächlich braucht, wird also auf den
Umgang mit dem System konzentriert.
Erleichtern technische Geräte den
Haushalt und bringen sie den Frauen
mehr Zeit?
Das ist ein klassisches Ingenieursmiss-
verständnis. Immer wieder lesen wir von
Smarthome und davon, Haushaltstech-
nologien ans Internet zu hängen. Das
spießt sich: Ich fände es auch sehr prak-
tisch, den Backofen vom Handy aus ein-
zuschalten, aber das setzt voraus, dass
vorher ein Mensch den Auflauf, auf den
ich mich freue, zubereitet und hineinge-
stellt hat. Was ich mit Ingenieurslogik
meine, ist der Hang dazu, sich auf den
Teil der Probleme zu konzentrieren, die
man lösen kann, für die man eine Tech-
nologie bereitstellen kann, aber den
Kontext, in dem das Ganze sich abspielt,
zu vernachlässigen. Und/oder doch ex-
plizit vorauszusetzen, dass noch irgend-
wer zu Hause oder am Arbeitsplatz oder
sonstwo ist, der die Vor- und Nach-
arbeiten macht.
Dieser Mechanismus ist wahrschein-
lich einer der wichtigsten Beiträge dieser
feministischen Technikdiskussion, die es
seit Jahrzehnten gibt. Nicht, dass es spe-
zifische Technikzugänge gibt – kann
sein, kann nicht sein, keine Ahnung.
Nicht, ob Frauen lieber rosafarbene
Smartphones nützen – das kann man
gerne dem Markt überlassen. Aber die
Vorstellung, Arbeit als etwas, das man
aus einem größeren Fluss an Aktivitäten
herausschneidet und rationalisiert und
tunt und ingenieursmäßig neu erfindet,
versus die notwendigen Vor- und Nach-
arbeiten, die man nicht loskriegt und
bei denen es immer wieder relativ nahe
liegt, sie zu externalisieren, sie entweder
auf billigere Arbeitskräfte zu verlagern
oder gleich im Haushalt machen zu las-
sen. Dieser Mechanismus kann durch-
aus auch unbezahlte häusliche „Männe-
rarbeit“ sein, wie den billigsten
Handytarif zu suchen. Da weiß ich
nicht, ob es da eine geschlechtsspezi-
fische Arbeitsteilung in den Haushalten
gibt. Man tunt irgendetwas und ver-
sucht natürlich es, im Lichte einer Fir-
ma, eines Serviceanbieters, eines Unter-
nehmens zu optimieren. Aber der Rest
muss trotzdem gemacht werden. Und
zwar durch wen und wie und was?
Wo sehen Sie die Herausforderungen
für die Gewerkschaften in diesen „Mo-
dern Times“?
Was durchaus schon passiert, nur nicht
schnell genug und manchmal etwas zu
kleinteilig, ist das Auseinandersetzen mit
dieser Kombination aus Technologien
und vervielfältigten Beschäftigungsfor-
men. Sie müssten Themen und Akteure
zusammenbringen und mit Playern re-
den, die außerhalb der klassischen Sozi-
alpartnerschaft liegen, siehe diese Diskus-
sion über „grüne Jobs“. Wenn es grüne
Jobs gibt, bedeutete das von den Arbeits-
bedingungen her überhaupt nicht, dass
die nun besser und schöner und gesünder
sind. Im Gegenteil: Müllsortieren ist ein
beinharter Fließbandjob. Auch in diese
Themen, die politisch gerne unter dem
Etikett „große Herausforderungen“ dis-
kutiert werden, reingehen und dort mit-
reden, wo es spannend wird. Nicht bei
diesen ganzen Technikprognosen wie ein
Kaninchen vor der Schlange stehen und
überlegen, wie schlimm das in Zukunft
werden könnte, sondern zu schauen, was
liegt in der Gegenwart an, und was kön-
nen wir Sinnvolles dazu sagen. Das muss
überhaupt nicht immer die alte Technik-
skepsis sein, dass das alles böse ist und
kontrollierend und so weiter.
Man kann mit neuem Technikein-
satz immer wieder sinnvolle Dinge auch
für die ArbeitnehmerInnen tun, z. B.
Arbeitsspitzen abfedern. Da könnte so-
gar so was Unbeliebtes wie Spracher-
kennung im Callcenter eine Funktion
für die Beschäftigten haben. Oder beim
Reinigungsgewerbe: In Norwegen ist es
z. B. relativ normal, dass Büroreinigung
tagsüber stattfindet. So was muss nicht
vor und nach der Normarbeitszeit pas-
sieren. Da helfen Technologien, die rei-
nigen mehr trocken und mit Microfa-
ser. Die Firmen in Österreich sagen,
dem traut der Kunde nicht. Bei tech-
nisch-sozialen Möglichkeiten, die
gerade in den Dienstleistungen diesen
ungleichmäßigen Arbeitsanfall abfe-
dern können, da gibt es, glaube ich, ei-
nige Lösungen zu finden, um eben auch
von Problemen wie der kleinteiligen,
kurzen Teilzeit in vielen Frauenbran-
chen wegzukommen. Es kann passie-
ren, dass man dann netto weniger Ar-
beitsplätze schafft, aber wenn die etwas
existenzsichernder wären und/oder kal-
kulierbarere Arbeitszeiten hätten, hätte
man etwas gewonnen.
Wir danken für das Gespräch.
Das Interview führte Katharina Klee
für Arbeit&Wirtschaft.
Internet:
Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt:
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