Arbeit&Wirtschaft 1/2014 33Schwerpunkt
Geht es nach den Plänen der Kom-
mission, sollen Unterschiede bei Regu-
lierungen nicht nur bis zum Abschluss
des Abkommens im Fokus der Handels-
partner stehen, sondern auch darüber
hinaus. So soll ein neu zu schaffender
Rat zur regulatorischen Zusammenar-
beit nach Inkrafttreten des Abkom-
mens laufend überprüfen, wie die Über-
einstimmung von bestehenden und
künftigen regulatorischen Maßnahmen
zwischen der EU und den USA voran-
getrieben werden kann. Dies entspricht
ganz dem Motto eines „lebenden Ab-
kommens“, das auch nach seiner Be-
schlussfassung kontinuierliche Verhand-
lungen vorsieht.
Öffentliche Interessen in Gefahr
Massive Kritik entzündet sich auch an
den geplanten Bestimmungen zum In-
vestitionsschutz, durch die ausländische
Investoren Staaten klagen könnten, wenn
etwa ihre erwarteten Gewinne durch po-
litische Maßnahmen geschmälert wer-
den.2 Ende Jänner kündigte EU-Han-
delskommissar Karel De Gucht an, die
Verhandlungen über diesen Teilbereich
vorerst auszusetzen und eine dreimona-
tige öffentliche Konsultation zu dem
Thema durchzuführen – die Kommission
wird hier also vor den Wahlen zum EU-
Parlament auf Zeit spielen.
Ob die VerhandlerInnen den glei-
chen Einsatz wie beim Abbau von Un-
ternehmenskosten auch für die ver-
pflichtende Einhaltung von international
anerkannten Arbeitsstandards zeigen,
um Lohn- und Sozialdumping zu ver-
hindern, wird sich zeigen. Handlungs-
bedarf gibt es genug, haben die Verei-
nigten Staaten doch lediglich zwei der
acht Kernarbeitsnormen der Internatio-
nalen Arbeitsorganisation (ILO) ratifi-
ziert – ausständig ist etwa die Ratifizie-
rung der ILO-Konventionen zur freien
Gründung von Gewerkschaften und der
Kollektivvertragsfreiheit. Dass die Rati-
fizierung und Einhaltung von Arbeits-
standards in Handelsabkommen ein-
klagbar sein muss, ist eine Kernforderung
der ArbeitnehmerInnenbewegung.
Druck auf die Verhandlungen ist
auch nötig, um sicherzustellen, dass
Dienstleistungen der Daseinsvorsorge –
wie etwa Bildung, Gesundheits- und so-
ziale Dienstleistungen, Abwasser- und
Müllentsorgung, Energie, Verkehr, kul-
turelle und audiovisuelle Dienstlei-
stungen und Wasserversorgung – kei-
nesfalls vom geplanten Abkommen
erfasst werden.
Geheime Verhandlungen
Angesichts der vielen Gefahren, die die
Verhandlungen bereithalten, ist eine brei-
te öffentliche Diskussion dringend not-
wendig. Die Verhandlungen finden je-
doch derzeit hinter verschlossenen Türen
statt; sowohl das Verhandlungsmandat,
das der Kommission die Richtlinien für
die Handelsgespräche vorgibt, als auch
die relevanten Verhandlungsdokumente
werden als geheim eingestuft. Solange
nicht alle EU-Verhandlungsdokumente
der Öffentlichkeit zugänglich gemacht
werden, kann von einer umfassenden
Einbindung der Bevölkerung keine Rede
sein. Schließlich ist auch die Einbe-
ziehung von Interessengruppen extrem
ungleich: Auf der Grundlage einer
Dokumentenanfrage der NGO Corporate
Europe Observatory wurde im September
2013 bekannt, dass 93 Prozent der von
der Kommission angegebenen Treffen
mit Interessengruppen zum Thema des
EU-USA-Abkommens mit Vertreterin-
nen und Vertretern von Großkonzernen
und deren Lobbys stattgefunden haben.
Nach Abschluss der Verhandlungen
müssen auf EU-Seite die Mitglieds-
staaten und das EU-Parlament dem Ver-
tragswerk zustimmen, und – wenn es
Kompetenzen der Mitgliedsstaaten be-
rührt – auch die nationalen Parlamente.
Dabei können die gewählten Parlamen-
tarierInnen jedoch keine Änderungen
am Vertragstext vorschlagen, sondern
lediglich das Gesamtpaket annehmen
oder ablehnen. Das EU-Parlament hat
bereits einmal ein Handelsabkommen
abgelehnt: Zum umstrittenen Anti-Pira-
terie-Abkommen ACTA haben die
Mandatarinnen und Mandatare 2012
die Rote Karte gezeigt.
Internet:
AK-Positionspapier zum TTIP:
tinyurl.com/mx6degy
Kritische Orientierungshilfe zur wirtschaftlichen
Folgenabschätzung des TTIP:
tinyurl.com/m3mnueq
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In vielen Bereichen könnten die in den beiden
Wirtschaftsräumen vorherrschenden Regulie-
rungsansätze kaum unterschiedlicher sein.
Besonders der Lebensmittelbereich ist hoch-
sensibel, hier waren die transatlantischen
Beziehungen bereits bisher von Handelsstrei-
tigkeiten geprägt.
2 Siehe Artikel auf S. 34.