Arbeit&Wirtschaft 9/2014 17Schwerpunkt
als heute. In einer solchen Situation hätte
das Gesetz auch deutlich bessere Rechte
der Gewerkschaften betreffend den Zu-
gang zum Betrieb vorgesehen. Diese Rech-
te sind, was die Betriebsebene betrifft, fast
völlig vom Bestehen eines Betriebsrates
abhängig. Das führt in Betrieben ohne
Betriebsrat zu einem gänzlichen Schutz-
defizit! Es braucht zumindest Zugangs-
rechte, das Recht, Versammlungen durch-
zuführen, und eine Verhandlungspflicht
des Betriebsinhabers.
Auch die Gründung von Betriebsrä-
ten muss erleichtert werden. Bei jeder
zweiten Betriebsratsgründung muss der-
zeit ein Gericht eingreifen! Ein Wahlvor-
stand aus Funktionären der AK (oder
aus Richtern) könnte die heikelste Grün-
dungsphase (Wahl des Wahlvorstandes)
ersparen. Die Behinderung einer Be-
triebsratswahl darf nicht länger als Kava-
liersdelikt betrachtet werden. Sie sollte,
ebenso wie die Behinderung von Wahlen
zur Wirtschaftskammer, nach den §§
266 ff Strafgesetzbuch mit Gefängnis be-
straft werden!
Wertungswiderspruch
Aber denken wir auch an die Änderung
von Unternehmens- und Konzernstruk-
turen, die heute alltäglich sind: Ist es nicht
erstaunlich, dass ein Eigentümerwechsel
oder sogar bloß ein Kontrollwechsel
(Wechsel des beherrschenden Eigentü-
mers) zwar für Minderheitsaktionäre
Rechte und Handlungsoptionen auslöst,
mitnichten aber für ArbeitnehmerInnen?
Ist das nicht ein unverständlicher Wer-
tungswiderspruch? Viele Manager beru-
fen sich auf Vorgaben ferner Konzern-
zentralen, die leider unverhandelbar seien.
Rechtswidrigerweise werden Betriebs-
rätInnen einfach vor vollendete Tatsachen
gestellt. Bis ein Urteil ergeht, ist es meist
auch längst zu spät! Faktische Entschei-
dungen sind umgesetzt und irreversibel,
der Schaden für die Beschäftigten nicht
mehr gutzumachen. Dagegen hilft wohl
nur ein abschreckendes Schadenersatz-
recht, das den vollen wirtschaftlichen Vor-
teil solchen Rechtsbruchs zugunsten der
ArbeitnehmerInnen abschöpft.
Funktionsverluste
Standortkonkurrenz, Verlagerungen,
„entfesselte“ Finanzmärkte, sinkende
Realeinkommen, gerade bei den am
schlechtesten Verdienenden, und „Dere-
gulierung“ inklusive Abbau sozialer Rech-
te weltweit: So muss man wohl für die
letzten 15 bis 20 Jahre bilanzieren. Und
das ist bei Weitem nicht nur ein soziales
und wirtschaftliches Problem! Schon
1996 hat der damalige Präsident der
Deutschen Bundesbank, Hans Tietmeyer,
am Weltwirtschaftsforum Davos vor den
versammelten Regierungschefs gemeint,
sie stünden nun unter der Kontrolle der
Finanzmärkte. Ähnliche Äußerungen
machte auch die deutsche Bundeskanzle-
rin Angela Merkel. Waren sich diese be-
wusst, was sie da sagen? Wenn die Finanz-
märkte die Regierungen kontrollieren,
leben wir nicht mehr in einer Demokratie,
sondern in einer Plutokratie – der Herr-
schaft der Reichen. An den Börsen hat
bekanntlich nicht ein Bürger eine Stim-
me, sondern ein Dollar: Wer mehr Geld
hat, hat dort mehr zu sagen. Ob die „Vor-
herrschaft der Politik über die Wirtschaft“
wiederhergestellt wird, entscheidet
schlicht darüber, ob wir weiterhin in einer
Demokratie leben. In Österreich gibt es
eine Entwicklung von der Sozialpartner-
schaft zur „Konfliktpartnerschaft“. In den
vergangenen fünf Jahren war zum Beispiel
kein Abschluss in der Herbstlohnrunde
möglich, ohne dass arbeitskampfnahe
Mittel ergriffen werden mussten. Auch
die Debatte um eine Steuersenkung für
ArbeitnehmerInnen und die Einführung
von Millionärssteuern kam jahrelang
nicht voran, bis der ÖGB heuer massiv
in der Öffentlichkeit mobilisiert, 800.000
Unterstützungsunterschriften gesammelt
und damit die Politik und auch die Wirt-
schaftskammer unter Druck gebracht hat.
Also weg von jener Sozialpartner-
schaft, deren massive Vorteile inter-
nationale ExpertInnen auf der Tagung in
Bad Ischl jüngst in höchsten Tönen ge-
lobt haben? Vielleicht kann ja eine ein-
fache Frage als Entscheidungshilfe die-
nen: Besteht Einigkeit darüber, dass das
Machtgleichgewicht von 1974 wieder-
hergestellt werden soll? Wenn ja, muss
das Arbeitsverfassungsgesetz rasch und
in vielen Punkten geändert werden, da-
mit alles wieder beim Alten ist! Wenn
nein, …
Internet:
Weitere Infos finden Sie unter:
www.drda.at/cms/X06/X06_0.e
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oder die Redaktion
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Die Prekarisierung der Arbeitswelt hat ein
Machtungleichgewicht entstehen lassen,
dieses herrscht allerdings auch bei den
regulären Arbeitsverhältnissen.